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Eine Billion Dollar

Eine Billion Dollar

Titel: Eine Billion Dollar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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hauchte sie, doch anstatt sich leise wie ein Schatten zu verziehen, wie er es von ihr gewohnt war, begann sie zögernd: »Scusi, Signor Fontanelli…«
    John roch an dem Tee, fühlte sich krank und so, als müsse sein Schädel jeden Augenblick platzen. »Si?«
    Sie schien es kaum wagen zu wollen, ihr Anliegen vorzutragen. »Ich, ähm… es ist so, dass ich, ähm…«, begann sie, und jedes Wort pulsierte in seinem Gehörgang, dass ihn schauderte.
    »Come?«, flüsterte er.
    »Eine CD«, würgte sie, mit den Händen rudernd, als wolle sie jetzt und hier einen spastischen Anfall bekommen. »Ich habe mir eine CD gekauft und… wollte Sie fragen, ob Sie etwas dagegen hätten…«
    Er sah das blasse, schmalhüftige Zimmermädchen mit tränenden Augen an und fragte sich, ob sie im Ernst glaubte, dass er dafür zuständig war, ihr den Kauf einer CD zu erlauben.
    »… wenn ich sie mir einmal auf Ihrer Stereoanlage anhöre?«, brachte sie endlich heraus, zuckte zurück, als erwarte sie, geschlagen zu werden, und sah ihn großäugig an. »Natürlich nur, wenn Sie nicht zu Hause sind«, fügte sie flüsternd hinzu.
    Das war alles? John nickte gequält. »Si. D’accordo.« Und er dankte dem Himmel, dass sie ihn danach in Frieden ließ.
    Er trank den Tee in kleinen Schlucken, und mit jedem Schluck fühlte es sich weniger wie eine Erkältung an. Eher, als sei sein Gehirn angefüllt mit gärenden Gedanken. Und tonnenschwer. Ob er den Arzt rufen sollte? Oder eine Tablette nehmen?
    Er war nicht mehr imstande, darüber nachzudenken, irgendeine Entscheidung zu treffen. Zweifellos würde es heute Nacht seinen Kopf zerreissen – und wenn schon. Er trank den Tee aus und ging zu Bett, wo er in einen unruhigen, von wilden Träumen geplagten Schlaf fiel.
     
    Am nächsten Tag erwachte er und fühlte sich, als habe er nicht geschlafen, sondern sei betäubt gewesen. Es ging ihm ein wenig besser, aber nicht viel: Es fühlte sich an wie eine erste dünne Haut über einer bösen Wunde, die jederzeit wieder aufbrechen konnte. Trotzdem – zu Hause herumsitzen mochte er nicht, und so ließ er sich ins Büro bringen. Dort fand er eine Notiz von Paul auf seinem Schreibtisch, in der er ihm gute Besserung wünschte, er sei den Tag über zu Verhandlungen in Paris und erst gegen Abend zurück.
    Er sagte alle Termine ab, las stattdessen Geschäftsberichte der Banco Fontanelli und der südamerikanischen Minengesellschaft und Zeitungen. McCaine, der in den letzten Wochen öfter in der Öffentlichkeit aufgetreten war als in den zwei Jahren als Boss von Fontanelli Enterprises, avancierte allmählich zum Idol von Investoren aus aller Welt. Er sprach sich offen dafür aus, die »Leistungselite« von Abgaben zu befreien, deren einziger Sinn sei, »Leistungsverweigerer« am Leben zu erhalten. »Die Natur kennt auch keine Sozialabgaben«, erklärte er unter Beifall auf einem Wirtschaftssymposium und verlangte außerdem rigorosen Abbau aller Handelshemmnisse sowie radikale Deregulierung der Märkte.
    John verfolgte einen Fernsehbericht über die Demonstrationen, die vor den verriegelten Türen des Tagungszentrums stattfanden. Ein älterer Mann mit Brillengläsern dick wie Flaschenböden erklärte der Reporterin: »Ich bin schwer zuckerkrank und seit sieben Jahren arbeitslos. Ich demonstriere, weil ich das Gefühl habe, McCaine und seine Gefolgsleute würden Leute wie mich am liebsten vergasen.«
    Ein Memorandum aus der Marktanalyseabteilung berichtete von einer zunehmenden Zahl von Unternehmenskooperationen unter der Führung von McCaine, der inzwischen in elf Aufsichtsräten saß, unter anderem in dem des nach Fontanelli Enterprises zweitgrößten Energieproduzenten. Die Börsenkurse der zu Morris-Capstone gehörenden Unternehmen, soweit sie börsennotiert waren, stiegen in Höhen, die bislang als unvorstellbar gegolten hatten.
    John nahm all das zur Kenntnis und dachte darüber nach, aber wie er es auch drehte und wendete, er wurde das Gefühl drohender Gefahr nicht los und auch nicht das Gefühl, versagt zu haben.
     
    Das Casino lag im Halbdunkel, durch die Scheiben sah man das Lichtermeer Londons. Sie waren die einzigen Gäste, und falls der Mann hinter dem Tresen am anderen Ende des großen Raumes darauf wartete, dass er endlich nach Hause gehen konnte, anstatt sich die Zeit mit dem Polieren sauberer Gläser zu vertreiben, dann hütete er sich, es sich anmerken zu lassen.
    »Früher konnte man sich einfach in irgendeine Kneipe setzen«, sagte John.
    Paul

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