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Eine blaßblaue Frauenhandschrift

Eine blaßblaue Frauenhandschrift

Titel: Eine blaßblaue Frauenhandschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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den Salat getropft, wie man es von den Renaissancemenschen gelernt hat, den Borgias, usw. Man spürt fast gar nichts, wird aber blutarmer und bleichsüchtiger von Tag zu Tag, bis es aus ist. Oh, ich schwör dir’s, León, ich habe mich im Sarg liegen sehn, wundervoll von dir aufgebahrt, und so jung war ich und entzückend mit meinen frisch gewellten Haaren, ganz in Weiß, fießender plissierter Crêpe de Chine, glaub aber ja nicht, daß ich das ironisch sage oder Witze mache, denn das Herz ist mir gebrochen, als ich zu spät und schon als Tote erkannt hab, daß mein Heißgeliebter, mein Heißgeglaubter ein heimtückischer Frauenmörder ist. Und dann sind sie alle gekommen, selbstverständlich, die Minister und der Bundespräsident und die Spitzen der Behörden und die Koryphäen der Gesellschaft, um dir ihr Beileid auszusprechen, und deine Haltung war gräßlich tadellos, denn du warst im Frack, wie das erste Mal, als wir uns begegnet sind, weißt du’s noch, damals am Juristenball, und dann bist du neben dem Bundespräsidenten hinter meinem Sarg gegangen, nein geschritten und hast der Vera Wormser zugezwinkert, die mit ihren Kindern auf einer Festtribüne zugeschaut hat … So, und jetzt stell dir’s nur vor, León, mit diesen Bildern im Kopf bin ich nach Hause gekommen und fnde dich vor meinen Briefen, was noch nie in diesen zwanzig Jahren geschehen ist. Ich hab meinen Augen nicht getraut, und das war kein Hirngespinst mehr, denn du warst nicht du, sondern ein völlig Fremder, der Mann mit dem Doppelleben, der Gatte der anderen, der Gentleman-Schwindler, wenn er unbeobachtet ist. Ich weiß nicht, ob du mir wirst verzeihen können, aber in diesem Augenblick hat’s wie der Blitz in mich eingeschlagen: Er will nichts andres, als sich nach meinem Tode das große Vermögen sichern. Ja, León, genau so hast du ausgeschaut, oben vor meinem Schreibtisch mit der ofenen Schublade, wie ein ertappter Testamentfälscher und Erbschaftsschnüfler. Und ich hab doch noch nie daran gedacht, ein Testament zu machen. Und alles gehört ja dir. Schweig! Laß mich das alles sagen, alles, alles! Nachher mußt du mich strafen, als mein harter Beichtvater. Gib mir eine fürchterliche Buße auf. Geh nächstens z. B. allein zur Anita Hojos, die in dich vernarrt ist und die du mit den Augen frißt. Ich werde geduldig zu Hause bleiben und dich nicht sekkieren, denn ich weiß natürlich ganz genau, daß nicht du schuldig bist an den greulichen Einbildungen des heutigen Vormittags, sondern ich allein und der Brief dieser unschuldigen Dame Wormser, eine antipathische Schrift hat sie übrigens. Der abgefeimteste Mann kann nie so, so, da gibt’s kein Wort, so träumen wie ein Weib unterm Nickelhelm beim Friseur. Und dabei bin ich nicht einmal hysterisch und sogar ziemlich intelligent, du warst einmal der Ansicht. Du mußt mich verstehn, ich habe genau gewußt, daß du kein Doppelleben führen kannst und daß dich das Geld nie interessiert hat und daß du der vornehmste Mensch bist und ein anerkannter Jugenderzieher, und daß dich die ganze Welt verehrt und daß du hoch über mir stehst. Zugleich aber hab ich ganz genau gewußt, daß du ein verschlagener Betrüger bist und mein süßer, geliebter Giftmörder. Es war, glaub mir’s, nicht Eifersucht, es kam wie von außen in mich, es war wie eine Inspiration. Und da hab ich dir ein Glas Wasser geholt und mit eigener Hand meinem Giftmörder das Pyramidon zum Schlucken gegeben, und mein Herz hat geblutet vor Liebe und vor Abscheu, es ist wahr, León, als ich mich selbst geprüft hab … So, jetzt hab ich dir alles, alles gebeichtet. Was da heut in mir vorgegangen ist, ich versteh’s nicht. Kannst du mir’s vielleicht erklären?«
    Ohne aufzublicken, ohne Absatz und Punkt, und immer in die Erde hinein, so hatte Amelie ihre Beichte heruntergehastet, die Leier nur manchmal aus brennender Scham durch eine ironische Wendung unterbrechend. Niemals hatte Leonidas eine ähnliche Selbstentschleierung angehört, noch auch geahnt, daß diese Frau dazu fähig sei. Jetzt preßte sie ihr Gesicht gegen seine Knie, ungehemmt fössen ihre Tränen. Er begann das warme Naß durch den dünnen Stof seiner Hose hindurch zu spüren. Es war unangenehm und sehr rührend zugleich. Du hast recht, mein Kind! Eine echte Eingebung war’s, die dich heute am Morgen angefallen und den ganzen Vormittag nicht mehr losgelassen hat. Veras Brief hat dich inspiriert. Wie nah bist du um die Flamme der Wahrheit herumgefattert! Deine

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