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Eine blaßblaue Frauenhandschrift

Eine blaßblaue Frauenhandschrift

Titel: Eine blaßblaue Frauenhandschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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auf seine Knie, Gebärde ihrer widerstandslosen hingegebenen Stunden. Da sie aber sehr groß war und lange Beine hatte, wirkte diese heftige Gebärde der Demütigung immer ein wenig erschreckend, ja erschütternd auf ihn.
    »Wärst du jetzt ein primitiver Mann«, stammelte sie, »du müßtest mich schlagen oder würgen oder was weiß ich, denn ich habe dich so gehaßt, du mein Liebstes, wie ich noch nichts gehaßt hab. Sag kein Wort, um Gottes willen, laß mich beichten …« Er sagte kein Wort. Er ließ sie beichten. Er starrte auf das weich modellierte Blond ihres Haares. Sie aber, ohne ein einziges Mal aufzublicken, sprach hastig wie in die Erde hinein:
    »Wenn man so beim Friseur sitzt, den Kopf unter der Nickelhaube, stundenlang, in den Ohren surrt’s, die Luft wird immer heißer, jede Haarwurzel schreit vor Nervosität, wegen der Wasserwellen muß man das aushaken, abends die Oper, und bei diesem Wetter gehn die Haare immer wieder auf … Ich habe mir die Bilder in der ›Vogue‹ und im ›Jardin des Modes‹ angeschaut, ohne das geringste zu sehen, nur um nicht verrückt zu werden, denn, du weißt, ich war unbeschreiblich überzeugt davon, du bist ein lebenslänglicher Schwindler, ein glatter Betrüger, wirklich so eine Art Dienstmädchenverführer am Sonntag, immer tip top, du glitschiger Aal, und mich hast du hereingelegt seit vollen zwanzig Jahren, durch ›Vorspiegelungen‹, nicht wahr, man nennt das so im Gerichtssaal, denn du hast mir seit dem Tag unsrer Verlobung vorgespielt, das zu sein, was du bist, und ich hab ein ganzes Leben gebraucht und meine Jugend verloren, um dir daraufzukommen, daß du eine Geliebte hast, namens Vera Wormser loco, denn ihren Brief hab ich auf dem Tisch gesehen, knapp eh du zum Frühstück gekommen bist, und es war wie eine fürchterliche Erleuchtung, und ich hab all meine Kraft zusammennehmen müssen, um den Brief nicht zu stehlen, es war aber unnötig, denn ich hab’s doch durch die Erleuchtung sonnenklar gewußt, daß du so einer bist, der ein Doppelleben führt, man kennt das ja vom Film, und ihr habt eine gemeinsame Wohnung, einen idyllischen Haushalt, du und Vera Wormser loco, denn was weiß ich, was du in deiner Amtszeit tust und während der vielen Konferenzen bis tief in die Nacht, und Kinder habt ihr auch miteinander, zwei oder vielleicht sogar drei … Und die Wohnung hab ich gesehn, auf mein Wort, irgendwo in Döbling, in der Nähe des Kuglerparks oder des Wertheimsteinparks, damit die Kinder immer frische Luft haben, ich war direkt drin in dieser anheimelnden Wohnung, die du dem Weib eingerichtet hast, und ich hab so manche Kleinigkeit wiedergefunden, die ich vermisse, und deine Kinder hab ich auch gesehn, richtig, es waren drei, so halbwüchsige Bankerte, widerliche, und sie sind um dich herumgesprungen und haben dich manchmal ›Onkel‹ genannt und manchmal ganz schamlos ›Papa‹, und du hast sie ihre Schulaufgaben abgehört, und das Kleinste ist auf dir herumgeklettert, denn du warst ein glücklicher Papa, wie er im Buch steht. Und das alles hab ich erleben und erdulden müssen in meinem gefangenen Kopf unterm Ondulierhelm, und ich durfte nicht davonlaufen, sondern mußte noch freundliche Antworten geben, wenn der seifge Patron kam, um mich zu unterhalten, Frau Sektionschef sehen blendend aus, werden Frau Sektionschef am Schönbrunner Kostümfest teilnehmen, als junge Kaiserin Maria Theresia müßten Frau Sektionschef erscheinen, im Reifrock und hoher weißer Perücke, keine Dame der Hocharistokratie kann mit Frau Sektionschef konkurrieren, der Herr Sektionschef wird begeistert sein – und ich konnte ihm nicht sagen, daß ich den Herrn Sektionschef gar nicht begeistern, will, weil er ein Lump ist und ein glücklicher Papa in Döbling … Sag kein Wort, laß mich beichten, denn das Schlimmste kommt erst. Ich habe dich nicht nur gehaßt, León, ich habe mich grauenhaft vor dir gefürchtet. Dein Doppelleben stand vor mir, wie, wie, ach ich weiß nicht wie, zugleich aber León, war ich so ungeheuer sicher, wie ich’s mir jetzt gar nicht mehr vorstellen kann, daß du mich umbringen willst, weil du mich ja auf alle Fälle loswerden mußt, denn die Vera Wormser darfst du nicht umbringen, sie ist die Mutter deiner Kinder, das sieht jeder ein, ich aber bin mit dir nur durch den Trauschein verbunden, durch ein Stück Papier, folglich wirst du mich umbringen, und du machst es äußerst geschickt, mit einem ganz langsamen Gift, in täglichen Dosen, am besten in

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