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Eine blaßblaue Frauenhandschrift

Eine blaßblaue Frauenhandschrift

Titel: Eine blaßblaue Frauenhandschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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praktischen Seiten hat …«
    »Um Himmels willen, Amelie, überleg dir, was du da sprichst …«
    Amelie aber dachte nicht daran, sich zu überlegen, was sie sprach, nein, hervorsprudelte:
    »Und ich dumme Gans hab mich vorhin beinah gefreut, als du so widerlich in meinen Briefen herumspioniert hast … Er ist also doch eifersüchtig, hab ich gemeint … Keine Spur … Wahrscheinlich warst du auf wertvollere Dinge neugierig als auf Liebesbriefe, denn ausgesehen hast du so äquivok, daß ich erschrocken bin, so … So wie ein Hochstapler, ein Gentleman-Betrüger, wie ein Dienstmädchenverführer am Sonntag …«
    »Danke«, sagte Leonidas und sah auf seinen Teller. Amelie aber konnte sich nicht länger beherrschen und brach in lautes Schluchzen aus. Da also wäre die Szene. Eine ganz sinnlose und empörende Szene. Noch nie im Leben hat sie eine ähnliche materielle Verdächtigung gegen mich ausgesprochen. Gegen mich, der ich doch immer auf strenger Sonderung bestanden habe, der ich das Zimmer verlasse, wenn sie ihre Bankiers und Advokaten empfängt. Und doch, sie schießt daneben und tri zugleich ins Schwarze. Dienstmädchenverführer am Sonntag. Ihr Zorn macht es mir nicht leichter. Ich habe keine Möglichkeit, anzufangen … Gequält erhob er sich, trat zu Amelie, nahm ihre Hand:
    »Das dumme Zeug, das du da zusammengeschwatzt hast, will ich gar nicht verstehen … Deine abscheuliche Kalorienfexerei wird dich noch nervenkrank machen … Bitte, nimm dich jetzt zusammen … Wir wollen vor den Leuten keine Komödie aufführen …«
    Diese Mahnung brachte sie zu sich. Jeden Augenblick konnte der Diener eintreten:
    »Verzeih mir, León, ich bitte dich«, stammelte sie, noch immer schluchzend, »ich bin heut sehr elend, dieses Wetter, dieser Friseur und dann …« Sie war ihrer wieder mächtig, preßte das Taschentuch gegen die Augen, biß die Zähne zusammen. Der Diener, ein älterer Mann, brachte den schwarzen Kafee, trug die Obstteller, die Fingerschalen ab und schien nichts bemerkt zu haben. Er hantierte mit ernster Teilnahmslosigkeit ziemlich lange herum. Indessen schwiegen beide. Als sie wieder allein waren, fragte Leonidas leichthin: »Hast du einen bestimmten Grund für dein Mißtrauen gegen mich?«
    Während er mit atemlos lauernder Seele diese Frage stellte, hatte er die Empfndung, als werfe er ein Laurett über einen fnstren Spalt. Amelie sah ihn aus roten Augen verzweifelt an:
    »Ja, ich habe einen bestimmten Grund, León …«
    »Und darf ich diesen Grund erfahren?«
    »Ich weiß, du kannst mich nicht leiden, wenn ich dich ausfrag. Also laß mich! Vielleicht komm ich darüber hinweg …«
    »Wenn aber ich darüber nicht hinwegkomm«, sagte er leise, doch jedes Wort betonend. Sie kämpfte noch eine ganze Weile mit sich selbst, dann senkte sie die Stirn:
    »Du hast heut früh einen Brief bekommen …« »Ich habe elf Briefe bekommen heute früh …« »Aber einer war darunter von einer Frau … So eine verstellte, verlogene Weiberschrift …«
    »Findest du diese Schrift wirklich so verlogen?« fragte Leonidas, holte mit sehr langsamen Händen seine Brieftasche hervor und entnahm ihr das Corpus delicti. Seinen Stuhl ein bißchen vom Tisch zum Fenster abrückend, ließ er das regnerische Licht auf Veras Brief fallen. Im Raum stand die Schicksalswaage still. Wie doch alles seinen ureigenen Weg geht! Man muß sich nicht sorgen. Nicht einmal improvisieren muß man. Alles kommt anders, aber es kommt von selbst. Unsre Zukunft wird davon abhängen, ob sie zwischen den Zeilen lesen kann. Plötzlich zum kühlen Beobachter geworden, reichte er Amelie mit ausgestreckter Hand das schmale Blatt hinüber.
    Sie nahm’s. Sie las. Sie las halblaut: »Sehr geehrter Herr Sektionschef!« Schon bei diesen Worten der Anrede bildete sich auf ihren Zügen eine Entspannung von solcher Ausdruckskraft, wie sie Leonidas an Amelie nie wahrgenommen zu haben vermeinte. Sie atmete hörbar auf. Dann las sie weiter, immer lauter:
    »Ich bin gezwungen, mich heute mit einer Bitte an Sie zu wenden. Es handelt sich dabei nicht um mich, sondern um einen begabten jungen Mann …« Um einen begabten jungen Mann. Amelie legte das Blatt auf den Tisch, ohne weiterzulesen. Sie schluchzte von neuem auf. Sie lachte. Lachen und Schluchzen gerieten durcheinander. Dann aber breitete sich das Lachen in ihr aus und erfüllte sie wie ein züngelndes Element.
    Jäh sprang sie auf, stürzte zu Leonidas, hockte sich zu seinen Füßen nieder, legte den Kopf

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