Eine Chance für die Zukunft (German Edition)
schönes
markantes Gesicht. Die schwarzen Haare sind noch immer eine Spur zu lang, seine
schiefergrauen Augen sehen mich gerade so intensiv an, als könnte er in meinen
Gedanken lesen, wie in einem Buch. Sein muskulöser Oberkörper zeichnet sich deutlich
unter dem engen T-Shirt ab, seine langen Beine stecken in einer schwarzen
Cargohose. Seine Haut ist leicht gebräunt, als käme er gerade aus dem Urlaub.
Langsam kehrt mein Verstand in die Wirklichkeit zurück und ich merke, dass ich
ihn noch immer anstarre.
„Annie? Geht es dir gut?
Du bist ja kalkweiß!“
Er klingt besorgt. Seine
Hand liegt noch immer auf meinem Arm. Ich sehe, wie er die Andere zu meinem
Gesicht hebt, als wolle er mir über die Wange streichen. Ich zucke zurück und
er lässt mich sofort los.
„Tut mir leid, ich wollte
dich nicht erschrecken.“, sagt er.
Ich bin zu geschockt, ich
kann es nicht glauben, dass er tatsächlich vor mir steht. Er sieht noch besser
aus, als in meiner Erinnerung. Was macht er hier, in meiner Kleinstadt, hier am
Hafen. Ich muß hier weg... ist mein einziger Gedanke.
„Sie müssen mich mit
jemandem verwechseln.“, kann ich grade noch herausbringen, bevor mir die Stimme
versagt. Schnell drehe ich mich um und gehe weiter. Sehr glaubhaft, nachdem ich
ihn gerade gefühlte zehn Minuten lang angestarrt habe. Er muss bemerkt haben,
dass ich ihn genauso erkannt habe, wie er mich. Ich reiße mich zusammen, um
nicht loszurennen. Zum Glück steht mein Auto nur ein paar Meter entfernt. Ich
springe hinein und fahre los. Im Rückspiegel sehe ich ihn auf dem Fußweg
stehen. Sieht er enttäuscht aus? Oder bilde ich mir das nur ein?
Ich zittere am ganzen
Körper nach dieser Begegnung, fühle seine Hand noch auf meinem Arm, als hätte
ich mich verbrannt.
Ich weiß nicht, wie lange
ich wie blind durch die Gegend fahre. In meinem Kopf wirbeln Gedanken, Fragen
umher. Was macht er hier? Wir sind 160 Meilen von Boston entfernt, wo damals
die Feier stattfand und ich gelebt habe. Ein paar Monate vor der Veranstaltung
hatte ich hier in Boothbay Harbor von meiner Patentante ein Häuschen mit einem
verwilderten Garten geerbt. Ein bisschen außerhalb dieses, im Sommer von
Touristen bevölkerten, Hafenstädtchens. Das Grundstück liegt direkt an einem
Abhang, von dem aus man über eine Treppe an einen kleinen Strand kommt. Eigentlich
ein ideales Ferienhaus, vor allem für eine Großstadtpflanze wie mich. Zumindest
war ich das, bis sich mein Leben vor vier Jahren grundsätzlich änderte. Es
passierte einfach zu viel in zu kurzer Zeit, ich brauchte Abstand und einen Neuanfang.
Den habe ich hier in meinem Strandhäuschen gefunden. Irgendwann schlage ich den
Weg nach Hause ein. Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren.
In meiner Einfahrt bleibe
ich kurz stehen und betrachte mein Zuhause, während die Erinnerungen und
Gedanken weiter wie ein Platzregen auf mich einprasseln.
Ich sehe das kleine
Holzhäuschen, das an drei Seiten von einer überdachten Veranda gesäumt wird.
Links vom Haus schmiegt sich meine Garage an die Hauswand und rechts kann ich
den Abhang erkennen, der zum Meer führt. Das alles hier war vier Jahre lang
meine Oase, mein sicherer Zufluchtsort. Obwohl die Sonne weiterhin warm vom
wolkenlosen Junihimmel strahlt, kommt es mir vor, als hätte sich meine Welt
verdunkelt. Er ist hier. In meiner Stadt, in meiner Sicherheit.
Ich parke mein Auto und
gehe langsam ins Haus. Eigentlich wartet mein Schreibtisch auf mich. Ich muß
dringend mein angefangenes Buch fertigstellen. Damals habe ich meinen Job bei
der Pharmafirma aufgegeben und bin aus meinem WG-Zimmer, in dem ich immer noch
seit dem Studium gelebt habe, ausgezogen. Bei der Arbeit konnte ich den Anblick
meiner ehemaligen Freundin mit meinem Ex nicht mehr ertragen und ich hatte auch
schon lange vor dem Abend der Wohltätigkeitsfeier nach einer eigenen Wohnung
gesucht. Mit 25 Jahren dachte ich, es wäre langsam an der Zeit mir etwas
Eigenes zu suchen. Nach weiteren Katastrophen hatte ich ein paar Wochen später
einfach meine Sachen gepackt und bin hierher, in das Haus meiner Patentante
gezogen, um meine Wunden zu lecken und mich auf meine neue Zukunft
vorzubereiten. Ich fing an, Bücher zu schreiben, Thriller um genau zu sein.
Spannend und blutrünstig bis ins Detail, um mich von meinem eigenen Leben
abzulenken und zu entfliehen. Ich wusste vorher, dass die Verlage sicher nicht
auf jemanden wie mich gewartet hatten und trotzdem fand ich eine
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