Eine Ehe in Briefen
nichts mit den Händen tun darf und die erkrankten Gelenke einbinden soll. Was ist das für ein Leben: Die Augen darf ich nicht anstrengen, die Hände ebenso – was soll ich denn da tun? Sogar vom Klavierspiel rät Ussow mir ab. Dies alles läßt mich sehr niedergeschlagen sein, und da ich fortan sehr lange im Haus zu bleiben gezwungen sein werde, beschloß ich, noch ein paar Tage länger, d.h. bis Mittwoch, in Moskau zu bleiben. Am Dienstag gibt Hofmann 17 sein letztes Konzert [...] – dieses zu hören wird mir ein großes Vergnügen sein. [...] Ich tröste mich damit, daß man mit den Jahren lernen muß, die »Kälte des Lebens« zu ertragen, und daß » la vraie sagesse de l’ homme c’ est de savoir vieillir « 18 , doch ich habe mich noch nicht ganz daran gewöhnt und bin deshalb bisweilen schwermütig.
Was mir hier in Moskau besonders gefällt, ist, daß ich Sonja 19 und Annotschka 20 sowie Mischa und Lina sehe, die sehr lieb mit mir umgehen; ich aß gestern abend bei ihnen, die Glebows sind ins Ausland gereist, Mischa und Lina wohnen mit Wanetschka 21 im elterlichen Haus. Wanetschka ist entzückend, aber dick und riesig. [...]
Heute abend gehe ich in die Philharmonie, Schaljapin 22 singt, und morgen werde ich, sollte es nicht allzukalt sein, meinen Enkel Serjosha besuchen.
Seid mir nicht böse, daß ich drei Tage länger bleibe, und sollte irgend etwas Schlimmes bei Euch vorfallen, so bitte ich Euch inständig, mir umgehend zu telegraphieren. Ich bin froh, daßbei Mascha nichts Ernstes festgestellt wurde. [...] Ich küsse alle, danke für Deinen Brief.
S. Tolstaja.
[Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
[18. November 1902]
[Jasnaja Poljana]
Es tut mir sehr leid, daß die Schmerzen in den Händen so arg sind. Ich hoffe, dies ist nur vorübergehend. Daß Du länger zu bleiben gedenkst, ist sehr gut, denn bei uns ist alles in bester Ordnung, Du mußt Dir also keine Sorgen machen. Mascha geht es sehr viel besser, und auch mir geht es gut. Lebe wohl. Ich küsse Dich.
L.T.
1904
[Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
[9. Januar 1904]
[Moskau]
Den ganzen Tag schon denke ich an Dich, lieber Ljowotschka, stelle mir vor, wie Du durch den leeren Saal gehst und es vollkommen still im ganzen Haus ist. Und es plagt mich ein wenig das Gewissen, daß wir alle abgereist sind. [...]
In Moskau tranken wir Kaffee miteinander, und alle gingen ihrer Wege. Ich war in der Bank und saß dort mit Dunajew zusammen, während die Dokumente und finanziellen Angelegenheiten bearbeitet wurden. Er las mir einen sehr anrührenden Brief Olgas 29 vor, in dem sie schreibt, wären nicht die Kinder, bereitete sie ihrem Leben ein Ende, so verzweifelt sei sie. Sie bittet, Andrjuscha nicht zu schelten, sie empfinde nachgerade mütterliche Liebe für ihn. Es ist schon merkwürdig, für wen man Liebe empfindet!
Auch im Historischen Museum war ich bereits. Schtscherbatow 30 traf ich nicht an, er wird erst am Samstag ab 5 Uhr wieder in Moskau sein. Also wandte ich mich an Sabelin 31 . Er ist hochbetagt, 84 Jahre alt, sehr schlecht auf den Beinen, läuft schlurfend. Sein Geist indes ist frisch. Er war sehr liebenswürdig und wird die Manuskripte selbstverständlich für das Archiv annehmen 32 . Morgen um 2 Uhr soll ich sie überbringen, doch mich stört die formale Seite der Angelegenheit. Wer wird sich ihrer annehmen, wie werden die Kisten gesichert, werden sie verschlossen? Vielleicht werde ich sie nicht vor Montag übergeben. Morgen werde ich im Rumjanzew-Museum erfragen, ob die Kisten dort noch weitere zwei Tage verbleiben können, und sie dann erst, nachdem ich dies alles mit Schtscherbatow besprochen habe, am Montag übergeben.
Am Sonntag werde ich den ganzen Tag mit den Abrechnungen beschäftigt sein.
Wir aßen im Restaurant »Prag«; Ilja schaute auf ein paar Minuten vorbei; [...] Nach dem Essen fuhren wir nach Hause, kleideten uns fürs Theater um. Auf dem Weg dorthin begleitete uns Boulanger, denn keiner meiner Söhne war zu Hause. Andrjuscha ist von früh bis spät unterwegs. Gott weiß, was für ein Leben er nunmehr führen wird, allein der Gedanke daran ist schon furchtbar. [...] Die ganze Aufregung störte mich bei der Konzentration auf die Musik, trotzdem hinterließ die Oper einen guten Eindruck.
Dies ist alles, mein lieber Ljowotschka. [...] Sascha ist wohlauf, doch hier sind die Mädchen nicht so heiterer Stimmung wie zu Hause. Ich küsse Dich, grüße Julia Iwanowna und Grigori
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