Eine Ehe in Briefen
Moisejewitsch 33 .
Deine Sonja.
[Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
12. Januar 1904
[Moskau]
Gestern habe ich Dir nicht geschrieben, lieber Ljowotschka, ich weiß ja gar nicht, ob Du Dich über meine Briefe freust. Wir sind wohlauf, doch Sascha klagt über starke Zahnschmerzen, ist deshalb mürrisch und sagt immerfort, sie wolle zurück nach Jasnaja.
Serjosha ist heute bei einem Empfang der Universität, jetzt ist es 2 Uhr in der Nacht, und er ist immer noch nicht zu Hause. Andrjuscha ist unbekümmert und heiter wie ein Vogel, verschwendet Unmengen von Geld, sagt, er sei in die Tolmatschowa verliebt und werde nie, niemals zu seiner Frau zurückkehren. Die Arme, sie tut mir so leid. [...]
Von 12 bis 3 Uhr nachmittags waren wir heute mit dem Transport der Kisten aus dem Rumjanzew-Museum ins Historische Museum beschäftigt, wo ein Bibliothekar und ein Soldat alles beaufsichtigten. Am Eingang standen Wächter und Gendarmenzum Schutz der Wagen mit den Kisten; mein Gehilfe trug sie mit ein paar Soldaten hinein. Der Bibliotheksgehilfe hat das Kadettenkorpus besucht und war Artillerieoffizier; nach der Lektüre Deiner Werke konnte er nicht weiter in der Armee bleiben und nahm seinen Abschied. Er ging zur Universität, studierte an der Historisch-Philologischen Fakultät und ist nun Bibliothekar am Historischen Museum 34 . Er sagte mir, der Tag, an dem Deine Manuskripte dem Historischen Museum übergeben wurden, sei der glücklichste Tag seines Lebens, und er versprach, alles in der Welt zu geben, um sie zu ordnen und abzuschreiben, sollte es notwendig sein. Doch dies habe ich selbstverständlich nicht gestattet.
Man wies mir einen erstklassigen Raum zu, im Turm, und bot sogar noch das Zimmer daneben an. Gestern führte Schtscherbatow mich überall herum.
Großfürst Sergej Alexanderowitsch, der von Schtscherbatow von meiner Absicht, die Manuskripte zu übergeben, erfuhr, ließ mir ausrichten, er danke mir für die Ehre, die ich dem Historischen Museum damit erweise, dies sei ein großes Glück für alle Angestellten des Museums. Und dem ist tatsächlich so – alle dort sind begeistert.
Aus Anlaß des hundertsten Todestags Gribojedows 35 wurde dort kürzlich das Originalmanuskript von »Verstand schafft Leiden« angekauft, für sechstausend Rubel.
Ich könnte morgen bereits wieder abreisen. Für dieses Mal habe ich nur noch wenig zu erledigen, doch ich möchte Sascha nicht allein hierlassen. Meine Befürchtungen bezüglich ihrer Hinneigung zu B[oulanger] scheinen sich zu bewahrheiten, und dies quält mich sehr. [...]
Gott sei es gedankt, daß bei Euch alles in Ordnung ist. [...] Ich küsse Dich und hoffe, daß Du nicht unwirsch bist ob meiner dieses Mal so langen Abwesenheit.
S.T.
[Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
17. Februar 1904
[Moskau]
Gestern habe ich Dir nicht geschrieben, lieber Ljowotschka, denn ich war verstimmt. Ilja hat mich den ganzen Tag über bedrängt und um Geld ersucht. Er hat Schulden bei zahlreichen Bekannten, hat unentwegt neue Ideen für Unternehmungen und endlose Ausgaben. Ich gab ihm 400 Rubel, er versprach, es damit bewenden zu lassen und abzureisen. [...] Dann war ich im Wagner-Konzert, auch dies bereitete mir kein Vergnügen: Überaus unangenehme und selbstzufriedene Deutsche sangen schlecht und falsch, die Musik befremdete mich, es war langweilig und ermüdend.
Doch meine wichtigste Aufgabe erledige ich gut und voller Erfolg. [...] Seit zwei Tagen ordne ich mit Hilfe des Bibliothekars im Museum die Manuskripte, Briefe und Photographien und erstelle eine Inventarliste. Alexej Iwanowitsch Stankewitsch 36 sortiert liebevoll alles und legt die Dinge in eine sehr schöne Vitrine, schließt alles zu und ist pedantisch genau.
[...] Morgen bin ich von 11 bis 3 wieder im Museum; das Schwierigste steht an, die Briefe sollen geordnet und gezählt werden. [...] Für die Musik werde ich wohl in diesen Tagen keine Zeit finden, was mich sehr traurig macht. Heute aß ich bei den Maslows, am Abend nun bin ich allein zu Hause, ich bin müde und schreibe Dir. [...] Mischa Stachowitsch geht als Vertreter des russischen Adels mit dem Roten Kreuz in den Krieg 37 . Die Maslows haben erzählt, wie der Sanititätszug verabschiedet wurde; 60 junge Damen, auch viele aus besseren Kreisen, fuhren als Krankenschwestern, Ärztinnen usw. mit. Der Zug war sehr lang, und als er aus dem Bahnhof fuhr, herrschte, ungeachtet der riesigen Menschenmenge, Totenstille. Es ist
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