Eine Ehe in Briefen
alle Deines Geburtstages wegen ohne Unterlaß an Dich gedacht, und mir ist – entweder, da Du nicht bei mir bist, oder da es mir nicht sehr gut geht – in der Seele traurig. [...]
Als ich gestern mit Tanja nach Hause fuhr, hatten wir ein sehr anregendes Gespräch. Früher, so scheint es, beeilte ich mich, Dir all meine erquicklichen Gedanken und Gespräche mitzuteilen, nun aber verspüre ich dieses Bedürfnis nicht mehr. Die Kinder hingegen bedürfen dessen noch, was sicher gut ist, und man muß sich Mühe geben, ihnen etwas zu vermitteln. Das eine oder andere bleibt ihnen haften, allzu groß ist doch dasDurcheinander in ihrem Innern, wie mir gestern aus dem, was Tanja sagte, klar wurde.
Lebe wohl, liebster Freund, morgen schicke ich nach Deinem Brief.
Als ich Dich gestern zum Bahnhof begleitete, dachte ich immerfort daran, wieviel ich darum gäbe zu erfahren, was Dich in Deiner Seele bewegt; es tut mir so weh, daß Du Deine Gedanken so selten mit mir teilst, dies wäre für mein Seelenleben so wichtig und gut. Du hältst mich vermutlich für stur und eigensinnig; aber ich fühle doch, wie vieles Gute von Dir allmählich auf mich übergeht und mir dies das Leben auf der Welt stets leichter macht.
Nun also ein letztes Mal: Lebe wohl.
Sonja.
28. August 1880
1882
[Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
3. Februar [1882]
[Moskau]
Ich komme gerade von oben, aus Andrjuschas Zimmer, wo er schlaftrunken wie rasend schrie. Als ich dort aus dem Fenster sah, erblickte ich einen prachtvollen Sternenhimmel und dachte an Dich. Welche poetische und melancholische Stimmung mag wohl in Dir heute abend in Jasnaja dieser Sternenhimmel geweckt haben, wenn Du Dich, wie Du es oft tust, noch einmal aufgemacht hast zu einem Spaziergang. Mir war es zum Weinen, es war mir so weh um jenes ruhige Leben dort, ich habe es nicht vermocht, ein Leben in der Stadt einzurichten, verdorre hier, vor allem körperlich, es geht mir nicht gut. In welchem unausgesetzten Strudel ich mich hier befinde. Am Morgen kamen Maschenka und Hélène 27 , aßen Pfannkuchen, Kostenka 28 hat sich ganz hier eingerichtet, und – bei Gott! – seine altmodischen Belehrungen strengen einen in der Seele an. Alle wollten dann in die Reitmanege, die Njnaja war unterwegs, die Kleinen riefen nach mir, sie mußten zu Bett gebracht werden, die Großen stellten sich naiv und belästigten mich mit ihren Bitten nach Geld oder fragten, ob sie die Kutsche nehmen dürften. [...] Dieser Trubel wird sich lange noch hinziehen. Am Samstag Tanz bei den Olsufjews 29 , für Freitag lädt Obolenskaja 30 ein. Hier muß ein Kleid geschneidert werden, dort werden Schuhe gebraucht usw. [...]
Mein Kleiner ist immer noch nicht ganz gesund, ich habe ihnso lieb, und er tut mir so leid. Sjutajew 31 und Du, Ihr könnt es Euch erlauben, Eure eigenen Kinder nicht liebzuhaben, wir gewöhnlichen Sterblichen indes können, ja wollen nicht zu solchen Scheusalen werden, welche die Tatsache, daß sie für niemanden Liebe empfinden, mit der Liebe für die gesamte Menschheit rechtfertigen.
Ich hatte erwartet, heute einen Brief von Dir zu erhalten, doch Du hast offensichtlich gestern nicht die Zeit gefunden, mir zu schreiben und meine Sorge Deinetwegen zu lindern. [...] Ich wollte Dir eigentlich schreiben: »Sei beruhigt, ich bin glücklich, daß es Dir gut geht dort, auch mir geht es wunderbar ...«, doch dies wäre Lüge.
Mir ist widerwärtig, ich kränkele, mein Leben ist mir verhaßt, ich weine ganze Tage lang, und wenn ich Gift zur Hand hätte, so würde ich es nehmen.
Dieses Leben hier mit mir zu teilen, bitte ich Dich nicht, und wieder lüge ich nicht. Deine Anwesenheit hier bekümmert mich auch, um so mehr, als ich weder Dich noch mich selbst zu trösten vermag. Lebe wohl.
[Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
[4. Februar 1882]. Drei Uhr am Nachmittag. Donnerstag.
[Jasnaja Poljana]
Soeben erhielt ich Deinen Brief, liebste Freundin, und bin sehr froh, daß bei Dir soweit alles in Ordnung ist. 32 Sei meinetwegen unbesorgt. Mir geht es hier bei Alexej 33 sehr gut, und ich werde wohl nicht ins Haus übersiedeln. Ich war heute einmal dort, und wohl kaum wird es warm genug werden, ohne daß Kohlendunst entsteht. Ich fühle mich nicht krank, aber irgendwie schwach – der Rücken schmerzt und der Kopf. [...] Die Arbeit geht schlecht vorwärts. Derweil erholen sich meine Nerven, und ich erkräftige mich. [...]
Ich glaube, daß ich mich nirgends besser und
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