Eine Ehe in Briefen
[An]Drjuscha und Mischa husten auch, aber es ist kein Keuchhusten. Ich behüte sie sehr. Wir alle, die Kinder und ich und Tanja und die Dienstboten, leben sehr einträchtig zusammen. Das Wetter ist herrlich, wir gehen baden, ich war heute allein spazieren und fand im Tschepysh 5 Steinpilze, pflückte Blumen, betrachtete die alten und die neu gesetzten Eichen und erfreute mich still und gedankenvoll an der Natur. [...] Mir ist das Leben im Sommer ein solches Glück, ich danke nur Gott, daß es mir so gut geht. Mache Dir keine Vorwürfe, Ljowotschka, daß Du nicht arbeitest. Arbeite und erlabe Dich hernach, sei heiter und freue Dich, so wie es Solomon sagt, den Du in Deiner »Beichte« zitierst, die ich in den letzten Tagen eifrig auf Französisch ins reine geschrieben habe. Der Kumys wird keinen Nutzen haben, wenn Du arbeitest. Wenn Du Deinen Magen in Ordnung gebracht haben wirst, wirst Du alles Versäumte aufholen, sobald Du wieder im Winterrhythmus lebst.
[...] Über Ilja sind nebulöse und schlüpfrige Gerüchte im Umlauf. Ich durchdringe das nicht, er ist 17 Jahre alt, es ist nicht mehr die Angelegenheit der Mutter, doch die Madame 61 trug mir heute zu, daß er sich in der Hütte im Garten mit jemandem treffe, Ljolja und Alcide wüßten davon. – Und ich, das unschuldige Mädchen, dessen Ohren mit Gold verhängt sind, weiß wie immer gar nichts, und wenn ich davon erfahre, ist es mir unangenehm, bin ich traurig darüber und weiß gar nicht, was ich tun soll. Etwas zu sagen – dafür reicht mein Mut nicht aus, ja, was könnte ich ihm auch sagen? Wenn Du zurück bist, sprich Du mit ihm, vielleicht entspricht es ja auch nicht der Wahrheit, die Madame hat etwas Unaufrichtiges an sich, das habe ich schon bemerkt. Tanja malt vormittags an einem Portrait der Madame, es scheint zu gelingen; sie spielt Klavier, liest viel und frönt dem Müßiggang. [...] Ich selbst gebe Ljolja undMascha jeden Tag eine Stunde Unterricht. Den einen Tag machen wir Russisch, am nächsten Englisch. Ljolja schrieb heute einen Aufsatz über den Fischfang, Mascha las über die russische Geschichte, und ich erzählte ihr darüber; es erwies sich, daß mir, wenn ich meinen Geist ein wenig anstrenge, vieles erinnerlich ist und ich in der Vermittlung von Wissen durchaus nützlich sein kann, wenn es gebraucht wird. Du liest dies alles und denkst vermutlich: »Sie beschäftigen sich nur mit Nichtigkeiten!« Doch ich kann mich mit nichts anderem beschäftigen, ich möchte es auch gar nicht, ich bin Gott sei Dank sehr glücklich mit meinem Leben. Nur eines, Ljowotschka, ist mir bisweilen schwer: zu wissen, daß Du mein ganzes Leben und mich als Menschen nicht gutheißt und nicht ernst nimmst.
Ist es denn wirklich zu wenig, daß ich von ganzem Herzen wünsche, Gutes zu tun, auch wenn ich es nicht vermag?
Lebe wohl, lieber Freund, ich küsse Dich und Serjosha. Bleibe auch weiterhin ruhig und glücklich. [...] Wäre nicht der Keuchhusten, käme ich vielleicht nach, nun aber geht es nicht, warte also nicht auf mich.
Deine Sonja.
[Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
2. Juni [1883]. Donnerstag.
[Landgut im Gouvernement Samara]
Meinen letzten Brief schrieb ich Dir an jenem Tag, ja zu jener Stunde, als Serjosha hier ankam. [...] Ich habe mich sehr über seine Ankunft gefreut, doch er ist wie immer sogleich streng gegen mich gewesen, und so gibt mir seine Anwesenheit zwar Ruhe, aber kein Glück. Im letzten Brief schrieb ich, ich fühlte mich nicht ganz gesund; das ist nunmehr ganz vorüber. Ich trinke voller Tatkraft Kumys; doch mir fehlt jene Unbekümmertheit, die es braucht. Ständig diese Scherereien mit der Wirtschaft. Von früh bis spät bemühen mich die Bauern, undich bin bestrebt, es ihnen allen recht zu machen. Alle wollen sie Land pachten. [...] – Stell Dir meine Verzweiflung vor: Bibikow 62 war in Samara [...]. Er war auf der Post, nahm aber keine Briefe von Dir mit. Und so bin ich immer noch ohne Nachrichten von Euch. Gerade dieses Mal quält mich dies ganz besonders. Ich bin so überstürzt abgereist. Es ist, als ob etwas Unausgesprochenes zwischen uns stünde, als ob wir uns kühl voneinander verabschiedeten. Ich denke ohne Unterlaß an Dich. [...]
Es lebt sich hier geruhsam und schön, wenn nur nicht die Sorge Deinetwegen wäre. Ich werde durch den Kumys dümmer und frischer, erinnere mich meiner guten Vorsätze hinsichtlich der Arbeit, ich liebe sie, doch es ist, als ob ich schliefe. [...]
Hier regnet es seit
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