Eine Ehe in Briefen
Dir nicht gutgeht. Wie sehr ich mich auch wieder zu Kräften zu kommen bemühe, nach einem solchen Brief wird alles greulich und finster. Du zählst auf, was mich kaltließe, doch Du vergißt eines, welches alles andere einschließt und das mich nicht nur nicht kaltläßt, sondern mich in meinem Dasein mit am meisten bewegt – dies ist Dein ganzes Leben, alles, was Dich nicht kaltläßt, d.h. alles, was Dein Leben ausmacht. Und da ich nicht anders auf das Leben blicken kann, als daß ich das geistige Leben als das wichtigste empfinde, so höre ich auch nicht auf, an Deinem geistigen Leben Anteil zu nehmen, freue mich über seine Entwicklung, bin bekümmert, wenn es stillsteht, und bin stets voller Hoffnung, nein überzeugt davon, daß es in Dir stärker und stärker werden wird und Dich von Deinen Leiden befreien und Dir jenes Glück geben wird, an welches Du nicht zu glauben scheinst, welches ich aber immerfort empfinde, und zwar immer um so stärker, je mehr ich mich dem leiblichen Ende nähere.
Wäre nicht der Gedanke daran, daß es Dir nicht wohl ergeht, ginge es mir hier prächtig. Urussow ist ein überaus liebenswürdiger hôte 128 ; ich fühle, daß ich ihm nicht zur Last falle, unddies ist wunderbar für mich. Ich stehe um 8 auf, schreibe (wie es scheint, sehr schlecht, aber immerhin schreibe ich) ohne Unterbrechung bis 12. Dann essen wir, danach gehe ich spazieren. Gestern wanderte ich 10 Werst weit zu einer riesigen Manufaktur, in der 3000 Frauen sich abquälen müssen, damit der Kattun billiger hergestellt werden kann und der Besitzer möglichst viel Gewinn macht, heute wanderte ich zum 3 Werst entfernten Nachbarort. Der Weg führt durch einen alten Nadelwald. Es war sehr schön. Die Lerchen sind schon zurückgekommen, doch es liegt noch viel Schnee. [...] Ich küsse Dich sehr und ebenso alle Kinder. Tanja sei bedankt für ihre Postkarte. Auch gegen einen Brief hätte ich nichts einzuwenden. Gebe nicht auf, Tanja! Der Fürst läßt grüßen. Ich bitte Dich, öfter zu schreiben, denn es wird auch außerhalb der festgelegten Tage Gelegenheiten geben, Briefe zu erhalten.
[Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
[31. März 1889]
[Moskau]
Heute erhielt ich von Dir einen so schönen, gütigen, tatsächlich liebevollen Brief, und sogleich ging es mir an der Seele besser, sogleich fühlte ich mich glücklich und alles ward leicht – sogar meine sich weiterhin verschlechternden, unerträglichen Schmerzen beim Stillen.
Wenn Du mich doch im Leben weniger belehren und mißachten würdest und dafür mehr lieben – um wie vieles besser wäre ich!
[...]
Über Deine Gesundheit schreibst Du gar nichts. – Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie glücklich ich bin, daß Du beim Fürsten bist und nicht an irgendeinem anderen Ort. Siehst Du, ich weiß, daß es Dir gutgeht und daß man für Dich sorgt und bin gar nicht traurig, rufe Dich nicht zurück; dies ist der Beweis,daß ich niemals daran denke, daß mir ohne Dich traurig zumute ist, sondern allein daran, daß es Dir wohl ergehe.
[...]
Die Kleinen und Ljowa laufen immerfort zum Fluß, um nachzusehen, ob der Eisgang bereits begonnen hat, doch noch ist es nicht soweit. Im Garten liegt noch viel Schnee. Morgen ist schon der 1. April, heute ist Wanetschka ein Jahr, er wurde in derselben Stunde geboren, in der ich Dir nun schreibe. Er hustet wieder ein wenig, doch er ist unendlich fröhlich, möchte immerfort laufen, daß man ihn an den Händen führt. [...] Alle sind wohlauf, guter und einträchtiger Stimmung. [...] Nun also lebe wohl, liebster Freund, bald schreibe ich Dir wieder.
S.T.
Freitag, den 31. März 1889.
[Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
[1. April 1889]
[Spasskoje]
Seit ich Dir das letzte Mal geschrieben habe, habe ich einen Brief von Dir und zahlreiche andere Briefe erhalten. Mir ergeht es hier weiterhin sehr gut. Heute schmerzte ein wenig der Magen. Ich schreibe dies der Tatsache zu, daß ich gestern Stör aß, vielleicht war es aber auch darin begründet, daß ich mich gestern überanstrengte, als ich Bäume fällte und sägte und das Holz zusammenlegte. Hier beginnt es zu tauen, und der Frühling bricht an. Gestern habe ich mich an die Korrekturen von »Über die Kunst« 129 gemacht, die Seiten sind über und über beschmiert (Urussow hat den Sohn des Diakons rufen lassen, der nun alles wieder ins reine schreibt), und habe im Wald mit den Bauern, die dort am Arbeiten waren, Bäume gefällt. Es machte
Weitere Kostenlose Bücher