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Eine Ehe in Briefen

Eine Ehe in Briefen

Titel: Eine Ehe in Briefen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Tolstaja , Lew Tolstoj
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September 1894]
    [Jasnaja Poljana]
    Ich bin sehr froh, daß Du 1. Klasse gefahren bist. [...] Als Ihr gestern abgereist wart, habe ich begonnen, meine Erzählung aufzuschreiben, wollte heute damit fortfahren, doch ich war nicht in der Stimmung 106 . Ich würde es sehr gern sehen, wenn Ljowa meinen Rat mit der Gymnastik beherzigte. Nur einige wenige, leichte Übungen, sie würden ihm etwas gezielte Bewegung verschaffen. Was meint Dr. Fljorow dazu? Ich küsse alle Meinigen.
    L.T.
    Zweimal fragte ich Wanetschka, ob er auf Sascha böse sei, und beide Male antwortete Miss Welsh 107 , sie seien im Gegenteil sehr lieb miteinander. Ich habe ihm versprochen, Dir dies zu schreiben.
    [Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
    [11. September 1894]
    [Moskau]
    Sascha hat mir einen schönen und sehr interessanten Brief geschrieben. Ich denke in letzter Zeit viel über Dich nach, lieber Ljowotschka. Natürlich bin ich glücklich, daß Dein Befinden und Deine Stimmung gut sind. Die Erzählung, die Du erdacht hast, interessiert mich sehr. Mir schien, aufgrund des Tons, in dem Du von ihr erzählt hast, daß sie sehr gut, ja vortrefflich werden kann. Wie seltsam sind doch diese Aufwallungen Deiner künstlerischen Natur. Wie eine Schönheit, die mit den Jahren immer seltener wirklich schön ist, so erblüht auch die künstlerische Schönheit immer seltener und verwelkt rascher als früher. Und dies ist bedauernswert, man muß diese kurze Blütezeit zu schätzen wissen, wie man im Herbst die seltenen Strahlen der Sonne zu schätzen weiß. Ich kann mich nicht entwöhnen von meiner Liebe zu Deiner künstlerischen Arbeit; heute wurde mir plötzlich klar, daß dies damit zusammenhängt, daß ich mit ihr die besten Jahre meines Lebens verbracht habe, d.h. meine Jugend. Unsere Töchter leben ihre Jugend mit einer anderen Seite Deiner schriftstellerischen Arbeit und werden deshalb diese für immer mehr als alles andere lieben.
    Diese Ausführungen sind Dir möglicherweise unangenehm – dann täte es mir leid, daß ich Dir dies schrieb; ich wollte nur meine Gedanken mit Dir teilen.
    Ljowa scheint es, trotz des ständigen Regens und des dunklen Himmels, der überhaupt nicht aufklart, besser zu gehen, er klagt weniger, scheint frohgemuter. [...] Er nimmt keine Medizin mehr, macht aber auch keine Gymnastik, heute übte er ein wenig auf der Geige. [...] Ich war heute bei den Direktoren. Andrjuscha braucht einen Mathematiklehrer; keine einzige Aufgabe ist er selbst zu lösen imstande. Meine Bitte, ob Mischa zu Hause Französischunterricht erhalten könne, wies Poliwanow harsch zurück. [...]
    Schreibe mir, liebster Freund, wieder einmal einen schönen Brief, nicht nur über Alltägliches. Ich küsse Dich und meine lieben Töchter sowie meine Kleinen, nach denen ich große Sehnsucht habe. Miss Welsh, die Njanja und Dunjascha grüße ich. S. Tolstaja.
    Ich sitze mit Mischa zusammen: Er macht seine Aufgaben, ich las Korrektur und schreibe nun Briefe.
    [Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
    [18. September 1894]
    [Jasnaja Poljana]
    Was Du über Deine Beziehung und die unserer Töchter zu meiner Schriftstellerei geschrieben hast, war mir keineswegs unangenehm, ich halte es im Gegenteil für überaus berechtigt, und meine Erinnerung an jene Zeit meiner künstlerischen Arbeit ist eine gute. Mit meiner jetzigen Erzählung komme ich nicht vom Fleck 108 . [...] – Die Fahrt nach Pirogowo haben wir erst einmal verschoben. Doch ich würde meinen Bruder Serjosha gern wiedersehen und ihm die Gelegenheit geben, mich zu beschimpfen. Allzu oft wird das nicht mehr möglich sein.
    Über Ljowas Brief habe ich mich sehr gefreut. Ich küsse ihn.
    L. Tolstoj.
    [Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
    [25. Oktober 1894]
    [Jasnaja Poljana]
    Gestern bin ich nach Koslwoka geritten und habe den Brief an Dich dort aufgegeben. [...] Auf dem Weg dorthin sah ich eine Gruppe von Bauern, die den Eid leisteten, vor dem Priester, der vor seinem Hause stand und hochgemut, ohne zu wissen, was er tat, die Leute betrog 109 . So etwas zu beobachten ist mir schmerzlich und zuwider. Gleich daneben standen Kosakenund Polizei, um den Zug mit dem Leichnam des Zaren zu beschützen. Dies zu sehen war noch furchtbarer. Tatsächlich wird bei einem Wechsel an der Macht die ganze Lüge offensichtlich, und es ist furchtbar und schmerzlich, dies mitanzusehen. Das Manifest des neuen Zaren ist in jeder Beziehung unanständig: »Rußland ist stark durch

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