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Eine Ehe in Briefen

Eine Ehe in Briefen

Titel: Eine Ehe in Briefen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Tolstaja , Lew Tolstoj
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ich mit Wanetschka und der Njanja im Garten; wir fegten die Eisbahn, damit Sascha Eislaufen üben könne. Doch dann wurde es am Tag wieder wärmer, und es begann zu schneien, die Schneeflocken waren so dicht, daß von Gottes Welt gar nichts mehr zu sehen war. [...] Wir hatten bis jetzt gar keinen Besuch, und es hat sich auch niemand angekündigt. Ich erhole mich und auch den Kinder tut es gut, sie können sich besser auf ihre Schulaufgaben konzentrieren, ernsthafter und ungestörter lernen.
    Die Gäste, die tagtäglich kommen, stören das Familienleben allzusehr. Man sollte nur an bestimmten Tagen in der Woche Besuch empfangen oder überhaupt nur auf Einladung, wenn man jemanden zu sehen wünscht – so ist es für uns alle eine Katastrophe. Und der beste Beweis dafür, daß Ihr diese Katastrophe über uns gebracht habt, ist, daß in Eurer Abwesenheit hier niemand erscheint. Es ist schade, daß ein Familienleben gar nicht existiert, weil immerfort irgendwelche Fremde anwesend sind. Und wenn die Kinder kommen, schweigen sie und gehen wieder. Bei Dunajew und Mischa Suchotin kommt man gar nicht zu Worte, und außer Ermattung geben sie einem nichts.
    Nun denn also, lebt wohl. [...] Ich küsse Sonja 100 , die Kinder und Euch alle. Serjosha will für zwei, drei Tage auch zu Euch aufs Land kommen.
    [Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
    [28. Januar 1894]
    [Grinjowka 101 ]
    Uns ergeht es hier sehr gut, und unser Leben verläuft sehr ruhig. [...] Ich schreibe an den Vormittagen 102 , in der übrigen Zeit lese ich oder gehe spazieren. Gestern lief ich bis nachNikolskoje und bewunderte Serjoshas Haus 103 und das interieur 104 . Sein Kutscher brachte mich mit einem schwarzen Pferd nach Hause. [...] Ich huste wenig, viel weniger als in Moskau. Doch ich habe Schmerzen, oder besser gesagt, ein Unbehagen in der Brust und bemerke ein Nachlassen meiner körperlichen und geistigen Kräfte, das mit diesem Zustand der Krankheit einhergeht. Vielleicht ist dies eine neue Stufe des Alters, an die ich mich noch nicht gewöhnt habe. Ich muß mich daran gewöhnen. Heute habe ich einen Brief von Ljowa erhalten und einen von Dir. An seiner Reise nach Paris ist gar nichts Schlechtes. Er ist aber allzu gierig nach neuen Eindrücken. Daß er sich von dem Arzt getrennt hat, ist sehr gut. [...] Jeder muß seinen eigenen und für jeden neuen Weg gehen. Und Ljowas Weg interessiert mich. Wo er enden wird, vermag niemand zu sagen. Sein gesundheitlicher Zustand beunruhigt mich wenig, denn ich bin überzeugt – und gebe Gott, daß ich mich nicht irre –, daß er sich in gegebener Zeit ganz unabhängig von Ärzten und Klimaveränderung wieder bessern wird, wenn nichts Unerwartetes geschieht. Mich interessiert sein seelisches und inneres Erleben. Ich werde ihm heute auch noch schreiben.
    Von Ilja kamen zwei Briefe aus Berlin. Sonja schreibt ihm, doch wir sind sicher, daß die beiden sich auch ohne Briefe und Telegramme in Paris treffen werden, da sie gemeinsame Bekannte dort haben. Tanja ist nicht ganz wohlauf, einmal hat sie Leibschmerzen, ein anderes Mal ist ihr immerfort kalt. Heute geht es ihr jedoch recht gut. An den Vormittagen malt sie und geht spazieren, an den Abenden schreibt sie fleißig meine Arbeiten ins reine. [...] Ich küsse die Kinder. An Andrjuscha kann ich nicht denken, ohne unangenehm berührt zu sein, weil ich mich an seine dummen Reden, darüber, wie man die Deutschen mit dem Bajonett umbringen solle, erinnere. Ich bemühe mich, dies zu vergessen, und ich werde es auch vergessen, doch es berührt mich unangenehm. Lebe wohl, ich küsse Dich und die Kinder. [...]
    [Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
    [27. März 1894]
    [Rshewsk 105 ]
    Mascha hat bereits alles berichtet, liebste Freundin Sonja, so daß mir nur noch bleibt, ihre Worte zu bestätigen und hinsichtlich meiner Person hinzuzufügen, daß ich sehr glücklich bin, hier zu sein, [...] Tschertkow und ich stehen einander seelisch so nahe, haben so viele gemeinsame Interessen und sehen uns so selten, daß es uns beiden sehr wohltut, zusammen zu sein. [...] Die Gegend hier ist sehr schön, das Haus steht auf einer Anhöhe, auf der einen Seite geht es einen steilen Abhang hinunter, auf der anderen liegt ein dichter Wald. Ich war gerade allein spazieren und habe Schneeglöckchen gepflückt. Ich küsse Euch alle der Reihe nach, beginnend mit Dir und endend mit Wanetschka. [...]
    L.T.
    [Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
    [7.

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