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Eine Ehe in Briefen

Eine Ehe in Briefen

Titel: Eine Ehe in Briefen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Tolstaja , Lew Tolstoj
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mich, beschwichtigst. Dies ist mir gerade auf meine alten Tage besonders teuer.
    Deine Sonja Tolstaja.
    [Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
    [31. Oktober 1894]
    [Jasnaja Poljana]
    Von den unsrigen ist niemand zu Hause, und ich weiß nicht, ob sie Dir bereits geschrieben haben, deshalb schreibe ich Dir.
    Gestern kam Mischa Stach[owitsch], der seit Orjol im Geleitzug dem Leichnams des Zaren gefolgt war 111 . [...] Gestern erhielten wir Deinen Brief. Ich werde nirgendwohin schreiben, bin ganz von meiner Arbeit in Anspruch genommen. [...] Heute herrscht Nebel, der den ganzen Schnee vertrieben hat. I hope 112 , daß Deine Kopfschmerzen vorüber sind und es auchAndrjuscha besser geht. Ljowa habe ich bereits gestern geschrieben.
    [Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
    [31.] Oktober 1894
    [Moskau]
    Der heutige Tag war voller Ereignisse, denn heute begann die Überführung des toten Zaren aus Moskau. Die Kinder wollten den festlichen Zug furchtbar gerne sehen, doch da niemand den Tag kannte, hatten wir uns dessentwegen nicht bemüht. [...] Gestern abend erschien unerwartet Dostojewskaja mit ihrer Tochter bei uns 113 . Sie waren auf der Durchreise von der Krim und hatten gehofft, die ganze Familie anzutreffen. Die Dostojewskaja ist sehr gutmütig und etwas laut, die Tochter recht klug, sieht dem Vater überaus ähnlich. Sie ist sehr belesen und lebhaft. Als die beiden erfuhren, daß die Kinder gern den Zug sehen würden, versprachen sie sogleich, sich um Plätze für uns im Historischen Museum 114 zu kümmern. – Heute um 7 Uhr des Morgens klingelte es dann plötzlich an der Tür. Ich hörte, daß die Tochter Dostojewskaja gekommen war und sagte: »Schnell, kleiden Sie sich an, um zehn Uhr beginnt bereits der Ausmarsch aus der Stadt.« Ich sprang aus dem Bett, warf das Morgenkleid über und weckte die Kinder. Um halb acht waren alle bereit, rasch wurde der Wagen angespannt, und wir fuhren los. [...] Im Historischen Museum hatten wir Plätze mit Blick auf das Iwerski-Tor 115 . Wir saßen sehr gut auf einem Podium, Dostojewskaja ließ uns einen ganzen Korb voll heißer, mit Fleisch gefüllter Piroggen bringen, die die Kinder aßen, während sie aufgeregt warteten.
    [...]
    Als der Zug vorüber war, begleitete Dostojewskaja uns ins Dostojewski-Museum. [...] Zum Frühstück waren wir wieder zu Hause, es war warm, sogar die Sonne zeigte sich bisweilen.Ljowa kam, wir erzählten ihm, er nahm alles sehr ironisch auf und sagte, nicht das, was wir gesehen hätten, sei von Wichtigkeit, sondern die Tatsache, daß sich die Studenten in der Universität geweigert hätten, den Treueeid zu leisten, daß auf dem Jungfrauenfeld eine Versammlung stattgefunden hätte, auf der über hundert Studenten arretiert worden seien, und daß die Universität für drei Tage ganz geschlossen worden sei. – Ich sehe hierin allerdings keinerlei fortschrittliche Bewegung, sondern lediglich, daß ein paar angetrunkene junge Männer einen Anlaß zur Auflehnung gefunden haben.
    Um zwei Uhr bin ich mit der Pferdebahn ins Frauenkloster gefahren. Ich hatte in den Zeitungen gelesen, daß in den Klöstern zwei Tage lang Armenspeisungen veranstaltet werden, und dies wollte ich miterleben. [...] Von der Pferdebahn bis zum Kloster ging ich zu Fuß und sah bereits auf dem Weg eine große Menge von Frauen: mit Säuglingen und kleinen Kindern, Greisinnen, Bettlerinnen, heiter gestimmte und sogar festlich gekleidete junge Frauen mit roten Tüchern, andere in abgerissener Kleidung – eine Menge, wie sie sich vermutlich auch vor den Nachtasylen versammelt, doch ausschließlich Frauen. [...] In der niedrigen Kirche standen lange Tische mit weißen Tüchern und lange Bänke. Auf der einen Seite stand ein Tisch, auf dem Piroggen und Brote lagen sowie Kessel mit Kohlsuppe und Schalen mit Kisel standen. Junge Novizinnen liefen mit großen Körben (wie Wäschekörbe) mit Brot und mit Kohl gefüllten Piroggen umher. All dies wurde friedlich verteilt. Vor dem Essen erhoben sich alle, und ein Priester las mit einem Chor von Nonnen die Totengebete für Alexander III. Die Mutter Schatzmeisterin brachte Kupfermünzen und gab jeder der Frauen im Namen der Äbtissin 5 Kop. Dann wurden Bier und Honig gebracht. Alles verlief wohlgesittet und still, kein einziger Laut war von dieser großen Menge zu vernehmen. [...] Als das Essen zu Ende war, erhoben sich erneut alle, bedankten sich bei zwei betagten Nonnen, die sie alle küßten und sagten:»Nun, Ihr

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