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Eine Ehe in Briefen

Eine Ehe in Briefen

Titel: Eine Ehe in Briefen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Tolstaja , Lew Tolstoj
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zwei Tagen wieder etwas besser. Ich hatte Schmerzen in der Brust, und das Atmen fiel mir schwer; das habe ich ja jedes Jahr im Herbst, und mit den Jahren wird es immer schlimmer. – Doch die Krankheit macht mir das Leben nicht schwer, sie hilft mir lediglich dabei, in Richtung jenes Punktes zu blicken, an welchem das Ende erreicht ist und man in die Ewigkeit hinübertritt, und dieser Übertritt ist keineswegs angsteinflößend, sondern vielmehr beglückend. Einstmals lebte ich in der Gewißheit, daß ich für irgend etwas oder von irgend jemandem gebraucht werde; nun aber muß ich erkennen, daß ich immer weniger bewirken kann, meine Kraft und Energie stetig nachlassen. Ich wünschte mir mehr Ruhe und Abgeschiedenheit, doch dies ist nicht möglich. Bisweilen habe ich das Bedürfnis, wenigstens für eine Stunde lang im Wald oder an einem anderen Ort spazierenzugehen, wo ich in Einklang mit Gott und der Natur sein kann und mich nicht ständig mit den Tapezierern, Gästen, Lehrern, Dunklen, Dienstboten u.a. auseinandersetzen muß.
    [...]
    Stimmt es, daß Maria Alexandrowna 96 zu Euch gezogen ist? Ich habe vergessen, Dunajew danach zu fragen. Grüßt sie von mir. Ich kann mir vorstellen, wie glücklich sie ist, ohne uns mit dem so teuren Lew Nikolajewitsch und Mascha zusammenzusein. Ich küsse Euch.
    S. Tolstaja.
    [Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
    [26. oder 27. Oktober 1893]
    [Jasnaja Poljana]
    Gestern wurde die Post erst spät gebracht. [...] Ich beneide mich selbst, daß ich in solcher Ruhe und Muße weile, während Du im alltäglichen Trubel lebst und darunter leidest. Es kann gar nicht anders sein, als daß man unter dieser leeren Nichtigkeit des Alltags leidet. – Doch mich freut Dein Streben nach innerer Einkehr, und ich weiß, daß dieses Streben trotz Deines unsteten Charakters aufrichtig ist. – Du kannst, so bin ich stets überzeugt, nicht nur mich, sondern auch Dich selbst überraschen. – Gestern lasen wir den zweiten Teil von »Mimotschka« 97 . Ganz gut, aber mit Übertreibungen. Mar[ia] Alex[androwna] verleidete mir die Lektüre. Sie hat Grippe und war sehr schwach und bemitleidenswert, doch sie blieb bis zum Schluß, wollte absolut nicht früher gehen. Heute scheint es ihr etwas besser zu gehen, sie behauptet, ihr Befinden sei ausgezeichnet.
    [...]
    Der Artikel über mein Buch ist sehr schlecht, aber zumindest unter dem Gesichtspunkt interessant, daß der Republikaner, der ihn schrieb, sich bemüßigt fühlte, mir zu widersprechen. Heute erhielt ich einen Brief von einem Dänen, der mir schreibt, daß aufgrund meines Buches zahlreiche junge Männer in Dänemark den Kriegsdienst verweigern, weshalb sie für jene Zeit,die die Ableistung des Dienstes gedauert hätte, ins Gefängnis gesperrt werden. Ich wollte noch etwas schreiben, habe es aber vergessen. Ich küsse Dich und die Kinder.
    L.T.

1894
    [Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
    [23. Januar 1894]
    [Moskau]
    Von Euch habe ich noch keine Nachricht. Ich habe heute einen Brief erwartet, doch es kam keiner. Von Ljowa erhielten wir einen kurzen Brief an Wanetschka, auf der Rückseite ein paar Worte an den Vater, ohne Anrede, daß es ihm ein wenig besser gehe, daß er in Nizza gewesen sei, auf dem Karneval, daß in Cannes ein Fest stattfinde, batailles des fleurs 98 , und nichts weiter 99 . Gestern war ich bei Deiner Schwester Mascha im Kloster. Als ich kam, war sie bei der Vorbereitung zur Abendmesse, die Vater Valentin leitete. Ich habe ihn also gesehen; ein sympathisches Gesicht, doch seine Augen blicken niemanden an, sondern durch jeden hindurch, und als man mich ihm vorstellte, richtete er einen derart unwilligen und hastigen Blick auf mich, als ob er sich zum Gesetz gemacht habe, niemals jemanden auf dieser Welt anzusehen. Welch wunderliche Welt ist es doch, in der Mascha dort lebt! Alle Frauen, ob dick oder dünn, tragen ihr Haupt bedeckt, gehen wie Nonnen schleichenden Schrittes umher, alle verehren Vater Valentin, alle sind ohne Familie, ohne Heim, beten ohne Unterlaß, entzünden die Öllämpchen vor den Ikonen, und ihr Abgott, die Freude ihres Lebens, sind Vater Valentin und das brave Leben mit Störfleisch, Gesprächen über Essen u.ä. Ein jeglicher errettet sich auf seine Weise. Sie beten fast den ganzen Tag, und wenn dieses Einssein mit Gott nicht nur mechanisch, sondern aufrichtigund wahrhaftig wäre, dann wäre dies, d.h. das Gebet und das Einssein mit Gott, durchaus gut.
    Heute morgen war

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