Eine ehrbare Familie
erfüllen.»
«Warum nicht Charles?»
«Weil er mein jüngerer Bruder ist. Der General hat mir Redhill hinterlassen. Es ist wie eine Familienfirma, Sara.»
«Sag das nicht, es klingt, als sprächst du von einem Krämerladen.» Sie biß sich auf die Unterlippe. «Also gut, wir müssen hier wohnen. Aber sei kein Narr und gib nicht deine politische Karriere auf. Schließlich hat Asquith, und er ist immerhin der Premierminister, dir nach den Wahlen einen Posten im Kabinett versprochen. Und damit wird die Sache doch anders aussehen, nicht wahr?» sagte sie sanft.
Er nickte kurz, ging zum Fenster und zog die Vorhänge auf. Ja, dadurch würde die Sache tatsächlich anders aussehen, aber es bedeutete immer noch, daß Sara Herrin von Redhill sein würde. Sie würden einen Kompromiß schließen müssen.
Giles Railton blickte beim Abendessen in die Runde, hörte nur mit halbem Ohr dem leisen Geplauder von Johns junger Frau Sara zu, die zu seiner Linken saß.
Er hatte wenig Geduld mit Sara, die nur an sich selbst zu denken schien. So jedenfalls schätzte er sie ein. Seltsam, daß John so eine Frau geheiratet hatte. Wenn es Charles gewesen wäre - nun, das hätte ihn nicht gewundert, Charles mit seinen ewigen Weibergeschichten und Saufgelagen.
Sein Blick fiel auf den jungen James am anderen Ende des Tischs. Er hatte das gutgeschnittene Gesicht aller Railtons, aber sein Ausdruck war verschlossen. Armer, junger Bursche, dachte Giles. Seine Mutter war bei seiner Geburt gestorben, dann mußte er sich mit einer Stiefmutter abfinden, die nur einige Jahre älter als er selbst war. Und nun hatte er auch noch seinen heißgeliebten Großvater verloren. William hatte oft gesagt, daß der junge James häufiger als alle anderen mit seinen Problemen zu ihm käme.
Giles’ Sohn Andrew führte mit Charles über den Tisch hinweg eine diskrete Unterhaltung, während seine Frau, die zarte, porzellangleiche Charlotte leise mit John sprach. Charles, stellte Giles bei sich fest, war bereits leicht betrunken, seine Augen waren glasig und seine Lider schwer.
Andrews und Charlottes Kinder - Giles’ Enkel - saßen schweigend da; sie wußten, konnten es aber noch nicht ganz glauben, daß ihr Großonkel, der Familien-Patriarch, tot war. Der junge Caspar, ungefähr einen Monat älter als James, schien in eine eigene Welt verloren, während die Zwillinge Rupert und Roy in ein nervöses Gekicher verfallen waren. Giles wünschte einen Augenblick lang, daß er sich erinnern könnte, wie man sich mit fünfzehn Jahren fühlte. Sein anderer Sohn, Malcolm, dessen einzige Leidenschaft die Landwirtschaft war, und seine Tochter Marie mit ihrem Ehemann Marcel wurden jeden Moment erwartet.
Plötzlich, wie das so gelegentlich geschieht, trat eine Stille ein, die Gespräche brachen wie auf Verabredung ab. Alle Gesichter wandten sich Giles zu, als erwarte ein jeder, daß er etwas Bedeutsames sagen würde.
Aber Giles Railton fiel zum ersten Mal in seinem Leben nichts zu sagen ein. Im stillen stellte er jedoch in diesem Augenblick fest, daß er von allen Familienmitgliedern seine Tochter Marie und seinen Neffen James am meisten liebte, während sich seine ganze Verachtung auf Charles konzentrierte. Er fragte sich, was nun, nach dem Ableben des Generals, aus den Railtons werden würde und was er persönlich dazu beitragen könnte, ihre Zukunft zu beeinflussen. Er war zutiefst beunruhigt und bedrückt, doch dann faßte er einen Entschluß, und ein eiserner Wille ergriff von seiner Seele Besitz. Er hoffte auf eine ruhige, ungetrübte Zukunft, aber gleichzeitig glaubte er an die Wahrheit des Sprichworts: «In Zeiten des Friedens bereite den Krieg vor.» Der Dienst an seinem Land richtete sich nach diesem Wissen, und so beschloß er, in diesem Sinne auch für seine Familie zu sorgen und schon jetzt seine Vorkehrungen zu treffen.
Wie ein Großmeister bei einem Schachspiel plante Giles seine Züge, um Ehre und Besitz der Familie zu schützen und dafür zu sorgen, daß diejenigen, die er liebte, überlebten. Er würde die Schwachen dazu benutzen, um die Starken zu retten.
Mit dem Tod des Generals trat die Railton-Familie in ein neues Stadium ihrer langen Geschichte ein. Giles würde in der Verhaltensweise der Familie in der kommenden Dekade eine entscheidende Rolle spielen. Doch das Schicksal der Railton-Familie war nur ein Teil einer weiter gespannten und komplizierten Geschichte, die bereits ein Jahr zuvor, ohne das Wissen der Beteiligten, in einer Seemannskneipe in
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