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Eine eigene Frau

Eine eigene Frau

Titel: Eine eigene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Lander
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Friedhofsmauer springt und zwischen den Grabsteinen hindurch auf die Fichtenhecke und die blendende Sonne zurennt. Aber wie sollte einer von denen noch irgendwohin rennen? Unter den Gefangenen ist die Ruhr ausgebrochen. Sie sind geschwächt, verängstigt und riechen stark nach Exkrementen.
    Arvi spürt, wie es die unruhige Regina wegdrängt von den Gefangenen in ihrem erbärmlichen Zustand, die mit vorgehaltenem Gewehr aus der Einfriedung gestoßen werden. Arvi drückt mit den Waden die Flanken des Pferdes. Man hat ihnen den Befehl erteilt, mit den Pferden die offene Fläche zwischen Tor und Friedhof abzusperren und jeden einzufangen, der zu fliehen versucht. Der Auftrag gilt weiter, wenn die Gefangenen in Marsch gesetzt werden: Jedem, der flieht, wird nachgeritten. Sie haben auch die Erlaubnis und Anweisung zu schießen, falls die Situation es erfordert. Darum tragen sie die Mauser-Pistolen am Gürtel. Auch Arvi, obwohl er in seinem Leben noch keinen einzigen Schuss abgegeben hat.
    Um ihn herum wallt ein Chor von Stimmen, das kurzsilbige Dialektfinnisch der Schutzkorpsangehörigen, das miauende Reichsschwedisch der Soldaten aus dem Nachbarland und das Schärenschwedisch der Südwestfinnen. Die Gefangenen geben nicht mehr als Gemurmel von sich.
    Zwischen den Schutzkorpsleuten aus Somero und den Schweden gibt es schon deshalb Reibereien, weil sie sich gegenseitig nicht verstehen. Die aus Somero finden, es sei ihre Aufgabe, die Gefangenen wegzubringen und die Urteile zu vollstrecken, aber Ehrensvärd, der Kommandant der schwedischen Abteilung, traut dem Schutzkorpsoffizier und seinen Männern nicht, von denen einige schon seit drei Tagen ununterbrochen trinken.
    Der Leutnant hat Anders Holm angewiesen, dafür zu sorgen, dass kein einziger Gefangener während des Transports entkommt und die Urteile ordnungsgemäß vollstreckt werden. Laut Befehl soll Anders dabei sein, wenn nach der Hinrichtung die vorgeschriebenen Sicherheitsschüsse abgegeben werden.
    Auf einmal fängt Arvis Herz zu pochen an, und er fährt aus der Erschlaffung hoch. Man führt zwei Jungen an ihm vorbei, die er kennt. Sein abgestumpftes Bewusstsein hält die Namen nicht fest, obwohl er hört, wie sie mit der gleichen monotonen Stimme aufgerufen werden wie alle anderen.
    »Lindroos, Lauri!«
    »Salin, Viki!«
    Erst als er die Gesichter der beiden Jungen sieht, begreift er, dass da gerade Saidas Stiefsohn und dessen Kamerad aus Vartsala abgeführt werden. Großer Gott! Er schaut auf Vikis dünnen Rücken unter dem blaugrauen Pullover, den Saida ihm gestrickt hat, und es schnürt ihm die Kehle zusammen. Jetzt ist er vollkommen wach.
    Seid ihr verrückt! Wir sind doch immerhin Menschen, Herrschaftszeiten!
    Er sagt jedoch nichts und stößt keinen Ruf aus, er rührt sich nicht einmal vom Fleck und zwingt auch das Pferd zu bleiben, wo es ist. Eine undeutliche, jedoch feste Entscheidung trifft er in diesem Augenblick gleichwohl. Jedenfalls wird er das bis ans Ende seines Lebens denken müssen.
    In einem scharfen Ritt fast ohne Unterbrechung ist er mit Anders vom Gut hierhergekommen. Nur einmal hielten sie an, weil Arvi es verlangte. Die Pferde wurden getränkt und gefüttert und durften kurz ausruhen. Erst da eröffnete ihm Anders, wohin sie unterwegs waren.
    Anders war überraschend am Stall aufgetaucht, wo Arvi schon den zweiten Tag die schwere Geburt einer jungen Stute überwachte. Voller Eifer war Anders gewesen und von beängstigender Entschlossenheit. Sämtliche Einsprüche von Arvi erstickte er im Keim, indem er sagte, dies sei ein Befehl des Grafen.
    Sie ritten im Morgengrauen los, obwohl Arvi in der Nacht kein bisschen geschlafen hatte und in der Nacht davor ebenfalls kaum. Anders erklärte, ein Soldat müsse Müdigkeit aushalten können.
    Ein Soldat?
    Irgendwo auf der Landstraße zwischen Vaskio und Kuusjoki schlief Arvi im Sattel ein und fiel vom Pferd. Dabei wurde das Handgelenk gestaucht und schwoll an. Es blieb ein pulsierender Schmerz.
    Anders Holm hatte die Anweisung erhalten, sich am 12. Mai in Somero beim Leutnant Ehrensvärd, dem Kommandanten der Befreiungstruppen des Schärengebiets, zu melden. Laut Befehl hatte er zwei ausgebildete und ruhige Pferde mitzubringen, die vom Gut Joensuu für den Kriegseinsatz versprochen worden waren. Der Graf hatte bestimmt, dass Arvi mit den Pferden aufbrechen, sich der militärischen Disziplin unterwerfen und alle Aufträge erfüllen solle, die man ihm per Befehl erteile.
    Am Ziel warteten Leutnant

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