Eine eigene Frau
zu Boden blicken. Ein kurzes Stück reitet Anders neben Viki und Lauri her, aber dann wendet er sein Pferd und kehrt ans Ende der Reihe zurück. Er übernimmt wieder die linke Seite, so wie Arvi es vorausgesehen hat.
Es folgt ein Marsch von mehreren Stunden. Bisweilen entsteht eine kleine Unordnung in der Reihe, weil die Gefangenen den frühjährlichen Schlammpfützen ausweichen. An den südseitigen Straßenböschungen blüht bereits die eine oder andere Butterblume. Arvi sieht die erste Schwalbe dieses Frühlings. Auf einer Überschwemmungswiese ruft ein Kranich, und ein zweiter antwortet ihm aus der Ferne.
Beim Kirchdorf Kuusjoki wird die Gefangenenreihe auf Feldwegen an der Siedlung vorbeigeführt. Man sieht tiefe Wagenspuren in der Erde. Hier sind die vorab zum Hinrichtungsort geschickten Schaufeln, Hacken und Eisenstangen für das Ausheben der Gräber transportiert worden. Auch die Schaufelfuhre hat man nicht vor den Augen der Leute durchs Dorf ziehen lassen.
Als die Brücke von Vaskio näher kommt, schwindet Arvis stumpfe Müdigkeit. Er spürt Schweißperlen unter den Armen und auf den Handflächen.
Die Brückenbohlen dröhnen noch unter den Hufen, als Arvi sieht, wie Viki und Lauri loslaufen. Lauri stürzt nach links zum sumpfigen Ufer des Flusses, das jetzt im Frühling noch feucht und tief ist. Arvi betet innerlich, dass Anders Holms Pferd noch schlimmer im Schlamm einsinkt als der davonrennende Junge. Der hintere Teil des Gefangenentrupps staut sich auf der Brücke, es gibt keine Lücke für ein Pferd, aber Anders drängt sich mit Gewalt zwischen den langsam trottenden Männern hindurch. Es werden Schreie laut, als zwei Gefangene vom Pferd gegen das Brückengeländer gedrückt werden. Anders galoppiert auf das Ufer zu, und über die Gefangenen hinweg sieht Arvi noch, wie Anders mit seinem Pferd in vollem Galopp stürzt. Er rollt sich ab und ist rasch wieder auf den Beinen, kniet sich hin und zielt. Die Brücke leert sich, Arvi reitet Viki hinterher, der inzwischen einen guten Vorsprung hat.
Auf der Wiese fällt ein Schuss. Auch auf Viki ist zweimal geschossen worden, doch die Männer vom Schutzkorps lassen die Waffen sinken, als Arvi in ihre Schusslinie reitet. Viki hat es bereits in den Sichtschutz des Waldes geschafft, als Arvi ihn einholt.
»Steig auf!«
Arvi packt die dünne Hand, und dann treibt er das Pferd erneut im Galopp an. Der Junge zittert noch immer am ganzen Körper und hält Arvis Arm umklammert. Zum Glück bremst der leichte Junge das Pferd so gut wie nicht, aber er riecht stark nach Schweiß und Schmutz. Arvi weiß, dass er den Fluss vor sich hat, und hält bereits nach flacherem Gelände Ausschau, wo er leichter zu überqueren wäre. Als sie den Fluss erreichen, gelingt es ihm, Regina ohne Zögern ins Wasser zu bekommen. Das Pferd hat während der gesamten Durchquerung Boden unter den Hufen, und es dauert nicht viel mehr als zehn Sekunden, bis es ans andere Ufer watet.
Arvi setzt den Jungen ab, nimmt die Pistole aus dem Futteral und gibt zwei Schüsse in die Luft ab, die ersten und letzten seines Lebens.
»Siehst du die Scheune dort?«
Er deutete auf das graue Dach, das in der Ferne am Wiesenrand hinter den Erlen hervorschimmert.
»Dort gehst du hin und bleibst.«
»Ja.«
Der Junge stürzt sofort los. Sein Pullover ist an der einen Seite fast vollständig aufgerissen, er flattert wie ein gebrochener blaugrauer Flügel.
Nachdem er zu den anderen zurückgekehrt ist, berichtet Arvi, er habe den Gefangenen erschießen müssen, weil er versuchte durch den Fluss zu schwimmen und zu entkommen. Er sagt, er sei eine Weile am Ufer entlanggeritten und habe versucht, die Leiche herauszuangeln, aber durch die Frühjahrsflut sei die Strömung zu stark und habe den Toten weggespült.
Schade, aber wegen eines Kadavers soll doch nicht die ganze Kolonne aufgehalten werden, oder? Wie ist es denn dem zweiten Flüchtling ergangen?
Anders sagt, er habe ihn an der Schulter erwischt. Bloß ein Streifschuss, wie auch beabsichtigt, damit man nicht jetzt schon eine Leiche mit sich herumschleppen müsse.
Gegen Mittag erreichen sie endlich ihr vorläufiges Ziel, wo die Gefangenen am Waldrand in Gruppen zu zehn Mann aufgeteilt werden. Arvi hört, dass die erste Gruppe sofort auf das drei Kilometer entfernte Übungsgelände der alten Kaserne von Märynummi marschieren muss, an dessen Rand bereits ein zehn Meter langes und zwei Meter breites, aber nur ein Meter tiefes Grab ausgehoben worden ist. Den
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