Eine Eule kommt selten allein
logischerweise schließen, daß Sie ebenfalls nicht dort arbeiten. Aus genau diesem Grund hat Professor Shandy Sie wohl auch gefesselt. Ist meine Annahme richtig, Peter?«
»In allen Punkten, Miss Binks.«
Fanshaw hatte bis zu diesem Zeitpunkt völlig bewegungslos dagelegen, den Blick auf den Hammer gerichtet. Jetzt reagierte er, als habe man ihm eine Dosis Strychnin verabreicht: Sein Gesicht verfärbte sich purpurrot, sein Rücken bog sich, bis nur noch Kopf und Fersen den Boden berührten. Zum Schluß fiel er in sich zusammen und gab keinen Muckser mehr von sich.
Wortlos beobachteten Peter und Winifred die dramatische Einlage. Nach einer Weile fragte Winifred: »Soll ich jemanden holen, damit er uns helfen kann, ihn ins Auto zu verfrachten?«
Peter schüttelte den Kopf. »Ich glaube, das schaffen wir auch allein. Seine Füße sind gefesselt, wegrennen kann er also nicht, aber mit ein wenig Überredungskunst müßte er eigentlich in der Lage sein, selbst zu laufen, auch wenn er nur kleine Schritte ma-chen kann. Ich wollte sowieso gerade los. Würde es Ihnen etwas ausmachen aufzustehen, Mr. Fanshaw, oder muß ich Sie erst dazu überreden?«
Ohne die Antwort abzuwarten, riß Peter den Gefangenen hoch, stellte ihn auf die Füße, drehte ihn um und ließ ihn in Richtung Tür trippeln. »Kommen Sie auch mit, Miss Binks?«
»Natürlich, das will ich mir auf keinen Fall entgehen lassen. Mr. Fanshaw und ich werden es uns auf dem Rücksitz bequem machen. Wenn wir ihm den Sicherheitsgurt angelegt haben, springe ich kurz noch mal ins Haus und schreibe Viola und Knapweed eine Nachricht. Bei der Gelegenheit könnte ich auch den Hammer holen, meinen Sie nicht? Sie möchten doch sicher nicht Ihre hübschen Sitzpolster mit häßlichen Kugeleinschüssen verschandeln. Wie dumm, daß ich den Hammer nicht eben schon mitgenommen habe.«
»Aber das macht doch nichts, Miss Binks. Ich könnte mir auch vorstellen, daß unserem Polizeichef ein durchgeklopfter Fanshaw lieber ist als ein durchlöcherter.«
Peter stellte erleichtert fest, daß bereits die bloße Erwähnung einer Schußwaffe genügte, um Fanshaw gefügig zu machen. Dabei besaß er gar keine, und die einzige gefährliche Waffe, die er bei sich trug, war ein Taschenmesser mit Horngriff, das ihm sein Vater zum zehnten Geburtstag geschenkt hatte. Er fuhr so schnell nach Balaclava Junction, wie es sein Mut zuließ, und lenkte den Wagen in die Auffahrt vor das schmucke weiße Holzhaus mit den blauen Verzierungen und den ausgesägten Sternmustern in den Fensterläden, in dem Edna Mae und Fred ihr kleines straff geführtes Zuhause hatten. Eine halbe Sekunde später fuhr auch Cronkite Swope vor.
»Hi, Professor! Ich hab' eben hier angerufen, und Mrs. Ottermole hat mir erzählt, Sie seien schon auf dem Weg, da hab' ich mir gedacht, am besten, ich sause auch schnell her und schau mir an, was sich inzwischen getan hat. Der Typ, der für uns die Filme entwickelt, hat gesagt, Ihre Fotos seien toll geworden, Miss Binks. Hey, was haben Sie denn da in Ihrem Wagen?«
»Ein Geschenk für Ottermole«, sagte Peter. »Mit uns spricht Mr. Fanshaw nicht, aber vielleicht redet er ja mit Ihnen. Warum leisten Sie ihm nicht ein wenig Gesellschaft und halten sich bereit, ihm mit dem Hammer eins überzuziehen, falls er irgendwelche Dummheiten versuchen sollte, während ich zur Tür gehe. Hätten Sie Lust, mich zu begleiten, Miss Binks?«
»Mit Vergnügen. Ich habe noch ein Rezept für Sassafraskonfitüre, das Edna Mae gern ausprobieren möchte.« Winifred griff nach ihrer Riesentasche und verschwand mit Peter im Haus, während der begeisterte Swope diverse Nahaufnahmen von dem Mann auf dem Rücksitz machte.
Fred Ottermole war inzwischen aufgestanden, saß in einem bunten Bademantel im Sessel, von seiner hingebungsvollen Gattin mit Kaffee und Jelly-Doughnuts umsorgt, und las seinen vier kleinen Söhnen die Comics aus der Zeitung vor: Ein Sprößling saß auf seinem Schoß, zwei hockten auf den Sessellehnen, und einer übte hinter dem Sessel Handstand. Peter störte die Familienidylle nur ungern, doch leider zwang ihn die Pflicht dazu.
»Tut mir leid, daß ich hier so hereinplatze, Ottermole, aber ich habe draußen im Wagen ein Paket für Sie. Ist Ihr Gefängnis empfangsbereit?«
»Denke schon. Wie viele haben Sie denn letzte Nacht erspäht, Professor?«
Peter konnte sehen, daß Fred daraufbrannte, mit seinen Eulenzählergebnissen zu prahlen, aber dazu war jetzt nicht der geeignete Zeitpunkt.
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