Eine Evatochter (German Edition)
glänzend gehen!«
»Gestern haben wir zwei Abonnenten bekommen,« sagte Blondet ernst. »Raoul wird Deputierter. Ist das Budget bewilligt, so erscheint das Dekret, das die Kammer auflöst.«
Nathan, der wegen Schulden verfolgt wurde, konnte nicht mehr auf einen Wucherer rechnen. Florine, die gepfändet war, konnte nur noch auf eine zufällige Liebschaft mit irgendeinem Gimpel zählen, der sich nicht immer nach Bedarf einstellt. Nathans Freunde waren Leute ohne Geld und Kredit. Eine Verhaftung vernichtete seine Aussichten auf eine politische Laufbahn. Um das Unglück vollzumachen, steckte er tief in der Arbeit für die im voraus verkauften Stücke. Der Abgrund, der sich vor ihm auftat, schien bodenlos. Angesichts so vieler Gefahren verließ ihn sein Wagemut. Würde die Gräfin von Vandenesse ihr Los mit ihm teilen, mit ihm fliehen? In diesen Abgrund reißt die Frauen nur restlose Liebe, und ihrer beider Leidenschaft hatte sie nicht durch die geheimnisvollen Bande des Glücks aneinandergekettet. Aber selbst wenn die Gräfin ihm in die Fremde folgte, war sie ohne Vermögen, aller Mittel bar und vergrößerte nur seine Verlegenheit. Ein Geist zweiten Ranges, ein hochmütiger Mensch wie Nathan konnte jetzt kein anderes Schwert sehen, das diesen gordischen Knoten zerhieb, als den Selbstmord. Und er sah ihn. Der Gedanke, vor den Augen der Gesellschaft zu fallen, in die er eingedrungen war, die er hatte beherrschen wollen, die siegreiche Gräfin dort zu lassen und selbst wieder zu Fuße im Dreck zu laufen, war ihm unerträglich. Der Wahnsinn tanzte mit klingenden Schellen vor dem Tor des Luftschlosses, in dem der Dichter hauste. In dieser höchsten Not wartete Nathan auf einen Zufall und wollte erst im letzten Moment seinem Leben ein Ende machen.
In den letzten Tagen, die mit der Verkündung des Urteils, dem Erlaß und der Veröffentlichung des Haftbefehls hingingen, erschien Raoul überall mit der ungewollt kalten, finsteren Miene, die der Beobachter bei allen Selbstmördern oder bei denen feststellt, die an Selbstmord denken. Die düsteren. Gedanken, die sie wälzen, legen graue Wolkenschatten auf ihre Stirn. Ihr Lächeln hat etwas Fatalistisches, ihre Bewegungen sind feierlich. Diese Unglücklichen scheinen die goldenen Früchte des Lebens bis zur Schale aussaugen zu wollen. Ihre Blicke richten sich immerfort aufs Herz; sie hören ihr Grabgeläut in der Luft und sind unaufmerksam. Diese schrecklichen Symptome erkannte Marie eines Abends bei Lady Dudley an Raoul. Er war allein auf einem Divan in dem Boudoir sitzen geblieben, während die ganze Gesellschaft im Salon plauderte. Die Gräfin kam an die Tür; er blickte nicht auf, hörte weder Maries Atem noch das Rauschen ihres Seidenkleides. Er starrte mit schmerzverstörten Blicken auf eine Blume im Teppich; er wollte lieber sterben als abdanken. Nicht jeder hat den Sockel von St. Helena. Zudem grassierte der Selbstmord damals in Paris: muß er nicht das letzte Wort aller ungläubigen Gesellschaften sein? Raoul hatte den Entschluß gefaßt, zu sterben. Verzweiflung ist stärker als Hoffnungen, und Raouls Verzweiflung sah keinen anderen Ausweg als das Grab.
»Was ist dir?« fragte Marie, zu ihm eilend.
»Nichts,« antwortete er.
Unter Liebenden gibt es eine Art, Nichts zu sagen, die genau das Gegenteil bedeutet. Marie zuckte die Achseln.
»Du bist ein Kind!« sagte sie. »Steht dir ein Unglück bevor?«
»Mir nicht,« entgegnete er. »Außerdem wirst du es immer noch zu früh erfahren, Marie,« fuhr er liebevoll fort.
»Woran dachtest du, als ich hereinkam?« fragte sie gemessen.
»Willst du die Wahrheit wissen?«
Sie nickte.
»Ich dachte an dich. Ich sagte mir, an meiner Stelle hätte mancher gewünscht, rückhaltlos geliebt zu werden. Das werde ich doch?«
»Ja,« sagte sie.
»Und,« fuhr Raoul fort, indem er ihre Taille umschlang und sie an sich zog, um ihr die Stirn zu küssen, auf die Gefahr hin, überrascht zu werden, »ich lasse dich rein und ohne Reue zurück. Ich kann dich in den Abgrund mitreißen, und du bleibst am Rande stehen, ohne Flecken, in all deinem Glänze. Nur ein einziger Gedanke beunruhigt mich...«
»Welcher?«
»Du wirst mich verachten.«
Sie lächelte stolz.
»Ja, du wirst es nie glauben, daß du heilig geliebt wurdest. Dann wird man mich schmähen, ich weiß es. Die Frauen können sich nicht vorstellen, daß wir aus der Tiefe unsres Schlammes zum Himmel aufblicken, um dort ganz allein eine Maria anzubeten. Sie verquicken diese
Weitere Kostenlose Bücher