Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Evatochter (German Edition)

Eine Evatochter (German Edition)

Titel: Eine Evatochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
Leute, die in Geldverlegenheit waren. In einigen Tagen sollte die Zeitung ihren neuen Jahrgang beginnen, und es mußte Geld in der Kasse sein. Du Tillet sollte etwas erleben! Und warum sollte Nathan nicht noch ein Stück schreiben? Aus Stolz wollte er um jeden Preis bezahlen. Du Tillet gab Nathan einen Brief an den Wucherer mit, auf den hin Gigonnet ihm das Geld für zwanzig Tage gegen Wechsel auf den Tisch legte. Statt nun nach den Gründen für diese Gefälligkeit zu forschen, war Raoul ärgerlich, daß er nicht mehr verlangt hatte. So lassen sich die bedeutendsten Leute von ihren Ideen nasführen. In einer ernsten Sache sehen sie Anlaß zu Scherzen, scheinen ihren Geist für ihre Werke aufzusparen und benutzen ihn nicht in den Dingen des praktischen Lebens, aus Angst, ihn zu vermindern. Raoul erzählte die Szene Florine und Blondet. Er schilderte ihnen Gigonnet, wie er leibte und lebte, den ruppigen Zettel mit seinem Namen, seine Treppe, seine asthmatische Klingel, seinen Türkratzer, seine kleine schäbige Strohmatte, seinen Ofen, der so kalt war, wie sein Blick. Er brachte sie zum Lachen über den neuen »Onkel«, und sie machten sich keine Sorgen, weder über du Tillet, der angeblich kein Geld hatte, noch über den Wucherer, der so anstandslos zahlte. Nichts als Possen!
    »Er hat dir nur i5 Prozent abgenommen,« sagte Blondet. »Du hättest ihm danken müssen. Bei 25 Prozent grüßt man dies Pack nicht mehr. Der Wucher beginnt bei 50 Prozent. Dafür zeigt man Verachtung.«
    »Verachtung?« wiederholte Florine. »Welcher von deinen Freunden liehe dir dafür Geld, ohne sich als Wohltäter aufzuspielen?«
    »Sie hat recht,« versetzte Raoul. »Ich bin froh, daß ich du Tillet nichts mehr schuldig bin.«
    Woher dieser Mangel an Scharfblick in den eigenen Geschäften bei Leuten, die gewohnt sind, alles zu ergründen? Vielleicht hat der Geist seine Lücken. Vielleicht leben die Künstler zu sehr in der Gegenwart, um die Zukunft zu ergründen. Vielleicht haftet ihr Blick zu sehr an den Lächerlichkeiten, um eine Falle zu sehen, und sie glauben, man würde es nicht wagen ... Die Zukunft ließ nicht auf sich warten. Nach zwanzig Tagen wurden die Wechsel protestiert. Aber Florine erbat und erhielt beim Handelsgericht einen Aufschub von 25 Tagen. Nun untersuchte Raoul seine Lage und verlangte eine Übersicht. Es ergab sich, daß die Einnahmen der Zeitung nur zwei Drittel der Unkosten deckten und daß die Abonnements abnahmen. Da wurde der große Mann unruhig und finster, aber nur Florine gegenüber, der er sich anvertraute. Florine riet ihm, Geld auf seine künftigen Theaterstücke zu leihen, indem er sie im ganzen verkaufte und die späteren Einnahmen veräußerte. Auf diese Weise brachte Nathan 20 000 Franken auf und verringerte seine Schuld auf 40 000 Franken.
    Am 10. Februar waren die fünfundzwanzig Tage abgelaufen. Du Tillet veranlaßte Gigonnet, Raoul unbarmherzig zu verfolgen. Er wünschte ihn nicht als Nebenbuhler in dem Wahlkreis, in dem er sich aufstellen lassen wollte. Dem Advokaten Massol hatte er einen anderen Wahlkreis überlassen, der dem Ministerium sicher war. Ein Mann, der in Schuldhaft saß, konnte nicht kandidieren. Das Gefängnis von Clichy konnte den künftigen Minister verschlingen. Florine lag in ewigem Kampf mit den Gerichtsvollziehern wegen ihrer eigenen Schulden, und in dieser Krisis blieb ihr nichts als das »Ich!« der Medea, denn ihre Einrichtung war verpfändet. Der Ehrgeizige hörte sein junges Gebäude, das ohne Grundmauern war, in allen Fugen krachen. Schon fühlte er sich ohnmächtig, ein so großes Unternehmen durchzuführen, wieviel mehr also, es von neuem zu beginnen. So sollte er unter den Trümmern seines Luftschlosses begraben werden. Seine Liebe zu der Gräfin gab ihm noch einigen Lebensmut. Er trug eine heitere Maske zur Schau, aber darunter war die Hoffnung tot. Auf du Tillet hatte er keinen Verdacht, er sah nur den Wucherer. Rastignac, Blondet, Lousteau, Vernou, Finot und Massol hüteten sich wohl, einen Mann von so gefährlichem Tatendrang aufzuklären. Rastignac, der die Macht wieder an sich reißen wollte, machte gemeinsame Sache mit du Tillet und Nucingen. Die anderen sahen dem Todeskampf eines Gleichstehenden, der sich erdreistet hatte, ihr Herr zu sein, mit unendlichem Behagen zu. Keiner von ihnen hätte Florine ein Wort gesagt; im Gegenteil, sie rühmten Raoul vor ihr: »Nathan hat Schultern, um die ganze Welt zu tragen; er wird sich schon herausziehen; alles wird

Weitere Kostenlose Bücher