Eine Evatochter (German Edition)
einer Nebenbuhlerin, die die Gräfin auf Raouls Bitte nach dem Zeitungsbureau sandte. Nathans Lage schien also äußerst glänzend. Er hatte viele Freunde. Zwei Stücke, die er mit anderen zusammen verfaßt hatte, lieferten die Einnahmen für seinen Aufwand und benahmen ihm jede Sorge um die Zukunft. Zudem machte er sich gar keine Gedanken über seine Schuld bei du Tillet, seinem Freund.
»Wie soll man einem Freunde mißtrauen?« sagte er, wenn Blondet bisweilen Zweifel äußerte. Blondet war ja gewöhnt, alles zu zergliedern!
»Aber unseren Feinden brauchen wir doch nicht zu mißtrauen,« bemerkte Florine.
Nathan nahm du Tillet in Schutz. Du Tillet war der beste, der entgegenkommendste, der redlichste Mensch. Dies Dasein eines Seiltänzers ohne Balanzierstange hätte jeden erschreckt, selbst einen Unbeteiligten, hätte er das Geheimnis durchschaut; aber du Tillet betrachtete es mit dem Stoizismus und dem kalten Auge des Emporkömmlings. In der freundschaftlichen, biedermännischen Art, mit der er Nathan behandelte, leistete er sich furchtbare Scherze. Eines Tages, als er von Florine kam und ihn seinen Wagen besteigen sah, drückte er ihm die Hand und sagte zu Lousteau, einem ausgemachten Neidbold:
»Das fährt großartig ins Bois de Boulogne und, sitzt in einem halben Jahre vielleicht in Clichy hinter Schloß und Riegel.«
»Er? Nie!« rief Lousteau aus. »Er hat ja Florine.«
»Wer sagt dir denn, mein Junge, daß er sie behält? Du, der tausendmal so viel taugt wie er, wirst in sechs Monaten zweifellos unser Chefredakteur sein.«
Im Oktober war der Wechsel verfallen. Du Tillet verlängerte ihn huldvoll, aber nur auf zwei Monate, um den Diskont und eine neue Anleihe vermehrt. Siegesgewiß lebte Raoul aus dem Vollen. Frau Felix von Vandenesse sollte in ein paar Tagen zurückkehren, einen Monat früher als gewöhnlich. Ein unbezähmbares Verlangen trieb sie, Nathan wiederzusehen, und er wollte nicht in dem Augenblick in Geldverlegenheiten stecken, wo er seinen Minnedienst wieder aufnahm. Der Briefwechsel hatte die Begeisterung der Gräfin aufs höchste gesteigert, denn die Feder ist stets kühner als das Wort, und das in Stilblüten gekleidete Denken wagt sich an alles heran und kann alles sagen. Sie sah also in Raoul einen der schönsten Geister seiner Zeit, ein erlesenes, verkanntes Herz, ohne Makel und anbetungswürdig; sie sah ihn mit kecker Hand nach dem Kranze der Macht langen. Bald sollte seine Sprache, die in der Liebe so schön war, von der Tribüne herabdonnern.
Marie lebte nur noch in den verschlungenen Kreisen einer Sphäre, deren Mitte die Gesellschaft ist. Der stillen Freuden der Ehe überdrüssig, empfing sie die Wogen dieses stürmischen Lebens durch eine gewandte, liebeglühende Feder. Sie küßte seine Briefe, die inmitten der Presseschlachten entstanden und Stunden der Arbeit abgerungen waren. Sie fühlte ihren ganzen Wert, war sicher, allein geliebt zu sein und nur Ruhm und Ehrgeiz zu Nebenbuhlerinnen zu haben. Sie konnte im Schoß ihrer Einsamkeit all ihre Kräfte entfalten und war glücklich, die rechte Wahl getroffen zu haben. Nathan war ein Engel.
Zum Glück hatte ihr Landaufenthalt im Verein mit den Schranken, die zwischen ihr und Raoul bestanden, den gesellschaftlichen Klatsch zum Schweigen gebracht. In den letzten Herbsttagen nahmen also Marie und Raoul ihre Spaziergänge im Bois de Boulogne wieder auf. Konnten sie sich doch bis zur Wiedereröffnung der Salons nur dort sehen. So konnte Raoul die reinen, erlesenen Freuden seines idealen Lebens in größerer Ruhe genießen und sie vor Florine verbergen. Er arbeitete etwas weniger, zumal die Zeitung jetzt im Gange war und jeder Redakteur seine Arbeit kannte. Unwillkürlich zog er Vergleiche, die sämtlich zugunsten der Schauspielerin ausfielen, ohne daß die Gräfin dabei verlor. Abermals rieben ihn die Anstrengungen auf, zu denen ihn seine Herzens- und Verstandesliebe zu einer Dame der großen Welt verdammten, aber mit übermenschlicher Kraft gelang es ihm, auf drei Bühnen zugleich zu spielen: der Gesellschaft, der Zeitung und dem Theater.
Während Florine, die ihm für alles Dank wußte und fast all seine Mühen und Sorgen teilte, im rechten Augenblick kam und verschwand und ihm ein reiches Maß wahren Glückes ohne Phrasen, ohne Begleitmusik von Gewissensbissen bereitete, vergaß die Gräfin mit den unersättlichen Augen und dem keuschen Leibe seine ungeheure Arbeit und die Mühe, die es ihn oft kostete, sie einen Augenblick zu
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