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Eine Evatochter (German Edition)

Eine Evatochter (German Edition)

Titel: Eine Evatochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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sehen. Statt zu herrschen, ließ Florine sich von ihm besitzen, verlassen und wieder besitzen, mit der Geschmeidigkeit einer Katze, die stets auf die Füße fällt und nur mit den Ohren zuckt. Diese Beweglichkeit der Sitten stimmt vortrefflich zu der ganzen Art der Männer des Gedankens. Jeder Künstler hätte es wie Nathan gemacht und seine schöne himmlische Liebe weiter verfolgt, diese glänzende Leidenschaft, die sein Dichterherz, seine geheime Größe, seine gesellschaftliche Eitelkeit bezauberte. In der Überzeugung, daß eine Indiskretion zur Katastrophe führen müßte, sagte er sich: »Weder die Gräfin noch Florine darf etwas erfahren!« Standen sich doch beide so fern !
    Zu Beginn des Winters erschien Raoul wieder in der Gesellschaft. Er stand auf dem Gipfel, war fast eine Persönlichkeit. Rastignac, der mit dem durch de Marsays Tod aufgelösten Ministerium gefallen war, stützte sich auf Raoul und stützte ihn durch seine Lobsprüche. Frau von Vandenesse wollte nun wissen, ob ihr Gatte über Nathan umgelernt hätte. Nach Jahresfrist fragte sie ihn abermals und hoffte auf eine jener glänzenden Genugtuungen, die allen Frauen, auch den edelsten und idealsten, so lieb sind. Denn man kann tausend gegen eins wetten, daß auch die Engel ihre Eigenliebe haben, wenn sie sich im Chor um Gottes Thron stellen.
    »Nun ist er auch noch auf ein paar Intriganten hereingefallen,« versetzte der Graf.
    Felix, dem seine Weltkenntnis und seine politische Erfahrung den Blick geschärft hatte, durchschaute Raouls Lage. Er erklärte seiner Frau in aller Ruhe, daß Fieschis Anschlag dahin geführt hatte, daß viele Leute, die in ihrer Gesinnung noch schwankten, für die in der Person König Louis Philippes bedrohten Interessen gewonnen worden seien. Die Zeitungen ohne ausgesprochene Farbe würden ihre Abonnenten verlieren, denn das Zeitungswesen würde sich mit der Politik vereinfachen. Hätte Nathan sein Vermögen in diese Zeitung gesteckt, so ginge er bald zugrunde. Dieser richtige und klare Blick, die in kurze Worte gefaßte Erkenntnis, die der Graf nur aussprach, um eine ihm gleichgültige Frage zu vertiefen, erschreckte Frau von Vandenesse, zumal bei einem Manne, der die Aussichten aller Parteien richtig einzuschätzen wußte.
    »Du nimmst also großen Anteil an ihm?« fragte Felix seine Frau.
    »Weil er ein Mann ist, dessen Geist mich belustigt, dessen Unterhaltung mir zusagt.«
    Sie sagte es mit so natürlicher Miene, daß der Graf keinen Argwohn schöpfte. Am nächsten Tage um 4 Uhr, bei Frau von Espard, hatte Marie mit Raoul eine lange, leise Unterredung. Die Gräfin äußerte Besorgnisse, aber Raoul zerstreute sie. Es kam ihm sehr gelegen, das Ansehen, in dem ihr Gatte bei ihr stand, durch boshafte Bemerkungen zu erschüttern. Nathan konnte sein Mütchen an ihm kühlen. Er stellte den Grafen als kleinen Geist dar, als rückständigen Menschen, der die Julirevolution mit dem Maße der Restaurationszeit messen wollte, der den Sieg des Mittelstandes, die neue soziale Macht nicht erkennen wollte, die, ob vorübergehend oder bleibend, jedenfalls vorhanden war. Die Zeit der vornehmen Herrschaften war vorüber; die Herrschaft der wahrhaft Tüchtigen begann. Statt den mittelbaren, unparteiischen Rat eines Politikers, der ohne Leidenschaft gesprochen hatte, zu beherzigen, setzte Raoul sich aufs hohe Pferd, warf sich in die Brust und hüllte sich in den Purpur seiner Erfolge. Welche Frau glaubt ihrem Liebhaber nicht mehr als ihrem Gatten?
    Frau von Vandenesse fühlte sich also beruhigt und setzte das Leben der unterdrückten Wallungen, der kleinen heimlichen Freuden, der verstohlenen Händedrücke fort, das im letzten Winter ihre Nahrung gewesen war. Aber dies Leben reißt eine Frau schließlich über die Schranken hinaus, wenn der geliebte Mann einige Energie hat und der Hemmnisse überdrüssig wird. Zu ihrem Glück hatte Raoul in Florine ein Gegengewicht und wurde ihr daher nicht gefährlich. Zudem war er in Interessen verstrickt, die ihn sein Glück nicht voll auskosten ließen. Immerhin konnte ein plötzliches Unglück, das Nathan zustieß, konnten erneute Hindernisse, wenn ihm die Geduld riß, die Gräfin in einen Abgrund stürzen.
    Diese Möglichkeit erkannte Raoul bei Marie, als du Tillet gegen Ende Dezember sein Geld haben wollte. Der reiche Bankier behauptete, in Schwierigkeiten zu sein, und riet Raoul, die Summe auf vierzehn Tage bei einem Wucherer namens Gigormet zu leihen, einer Vorsehung zu 25 Prozent für junge

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