Eine Familie für Julianne
Stock auf den Boden und stand langsam auf. „Ich habe bereits zwei Menschen verloren, weil ich nicht hart genug um sie gekämpft habe“, stieß er hervor. „Und das wird mir mit meiner Enkelin nicht noch einmal passieren! Na schön, dann kann ich eben nicht verhindern, dass Kevin Kontakt zu Pippa hat. Aber unter meinem Dach ist er nicht willkommen, und damit basta.“
Als ihr Vater sich leise schimpfend ins Haus zurückzog, hätte Julianne ihm am liebsten das mittlerweile harte Brot an den Kopf geworfen.
Blinzelnd stand Kevin im Dämmerlicht von Felix Padillas Polsterwerkstatt. Jeder freie Platz war mit Sesseln, Sofas und Polsterstühlen vollgestellt, deren Bezüge sich in den verschiedensten Stadien der Auflösung befanden. Dazwischen führte ein schmaler Pfad zum eigentlichen Werkraum, wo noch größeres Chaos herrschte.
„Felix!“, rief Kevin und blinzelte wieder, als ihn das Tageslicht blendete, das durch das große hintere Werkstatttor hereinfiel. Rockmusik aus den Achtzigern dröhnte aus einem staubigen CD-Player, der Schneidetisch war mit Stoffmustern übersät, und überall standen und lagen Werkzeuge herum. Hier arbeitete eindeutig ein Verrückter – ein schwerhöriger, unglaublich talentierter Verrückter, der sich seit den sechziger Jahren vor Aufträgen kaum retten konnte.
„Felix!!“
„Ich bin hier! Hinter der Chaiselongue!“
Ein kahlköpfiger, gebräunter Schädel tauchte über dem Sofa auf.
„Jetzt erzähl mal“, rief Felix über die Musik hinweg. „Du hast dich lange nicht blicken lassen. Was hast du erlebt? Und setz dich nicht auf den Stuhl da, der ist fertig zur Abholung.“
Kevin stellte die Musik leiser, wusste aber schon, dass es nicht viel nützen würde – da er selbst schlecht hörte, redete Felix auch laut. Sie hatten sich bei den Anonymen Alkoholikern kennengelernt. Nie würde er den Moment vergessen, als Felix stolz vor der Gruppe gestanden und erklärt hatte, dass er jetzt „siebentausendzweihundertsechsunddreißig Tage“ trocken war. Eine Woche später hatte er Kevin zu seinem Schützling erklärt, bis sie beide merkten, dass Kevin einen richtigen Entzug brauchte. Über Felix’ Kontakte hatte Kevin schließlich den Platz in einer Entzugsklinik in Denver bekommen, wo er den Absprung schließlich geschafft hatte.
Kevin kannte aus seiner Zeit in Albuquerque noch andere Leute, aber Felix war der Einzige, dem er uneingeschränkt vertraute und den er schon vorher angerufen hatte, um seinen Besuch anzukündigen. Jetzt war er doppelt froh, einen Freund zu haben, der verstand, was in ihm vorging.
Der ältere, rundliche Mann, der jetzt langsam aufstand und auf seine Arthritis fluchte, wusste auch alles über Robyn und war derjenige, der Kevin teilnahmsvoll, aber vernünftig darauf hingewiesen hatte, dass sie vielleicht erst ganz unten ankommen musste, bevor sie bereit war, ihr Leben zu ändern.
Kevin lehnte sich an den Schneidetisch. Er war über eine Stunde lang ziellos durch die Stadt gefahren, um die Neuigkeiten zu verdauen.
„Robyn ist tot“, eröffnete er Felix.
Der riss die Augen auf. „ Muerta? Nein! Dios mio – was ist passiert?“
„Sie kam vor drei Monaten beim Schwimmen ums Leben. In Puerto Vallarta. Laut ihrer Schwester war sie monatelang clean, aber …“
„Ihre Schwester?“
„Ja, sie hat eine ältere Schwester. Die jetzt bei ihrem Vater lebt. Um mit dem Baby zu helfen.“
„Dem Baby? Was für einem Baby?“ Felix Augen wurden noch größer. „Du hast ein Kind?“
Schon seit Langem wunderte sich Kevin nicht mehr über die geradezu unheimliche Fähigkeit von Felix, in Windeseile die richtigen Schlüsse zu ziehen. Deshalb nickte er nur.
„Ein kleines Mädchen, fast fünf Monate alt.“ Felix sah ihn mitfühlend an, und Kevin rieb sich die Augen, als Tränen in ihm aufstiegen.
„Was willst du jetzt machen?“
„Keine Ahnung.“
Felix zog einen zerfledderten Polsterhocker unter dem Schneidetisch hervor, befahl Kevin, sich zu setzen, und schlurfte zu einem uralten Kühlschrank, aus dem er zwei Colaflaschen nahm.
„Du brauchst einen Plan, mein Freund“, sagte er, als er Kevin eine davon reichte.
„Vor allem brauche ich einen Job“, erwiderte der nach dem ersten Schluck. „Und einen fahrbaren Untersatz, weil ich mir den Mietwagen nur für ein paar Tage leisten kann. Jedenfalls will ich eine Weile in der Gegend bleiben, bis ich herausgefunden habe, wie’s jetzt weitergeht.“
„Kein Problem!“, rief Felix fröhlich und klopfte
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