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Eine fast perfekte Tarnung Meisterspionin Mary Quinn

Eine fast perfekte Tarnung Meisterspionin Mary Quinn

Titel: Eine fast perfekte Tarnung Meisterspionin Mary Quinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Y Lee
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Harkness’ Ton war nüchtern, schulmeisterlich. »Ich habe Unrecht begangen, schlimmes Unrecht. Und ich werde dafür büßen.«
    »Wie?« Keenan klang auf einmal misstrauisch. »Was ist das für ein Brief und wo ist er?«
    »Aha: Da kommen die niederen Überlebensinstinkte mal wieder an die Oberfläche. Es reicht wohl,wenn ich sage, dass der Brief an einem sicheren Ort ist. Den findest du nicht. Die Polizei aber schon; darauf kannst du dich verlassen. Und sie werden genau wissen, was da gelaufen ist.«
    »Na gut. Angenommen, den Brief gibt es wirklich, und angenommen, irgendein Bulle findet ihn, und angenommen, er glaubt den ganzen Mist: Wer sagt, dass er mich findet? London ist groß   – angenom men , ich bleibe überhaupt hier.« Er starrte Harkness an, der unbewegt dastand und über die dunkel werdenden Straßen blickte. »Na? Bisschen viele Annahmen?«
    Harkness blinzelte und lächelte, als erwache er aus einem Traum. »Willst du wissen, was mit Wick passiert ist?«
    Keenans Gesicht wurde ganz starr. »Ich weiß, was ihm passiert ist. Er ist abgestürzt.«
    »Aber wie kam es dazu?«, bohrte Harkness weiter. »Und wann und warum?«
    »Er ist eben gefallen, basta! Unfälle passieren nun mal   – vor allem hier, wie’s aussieht.«
    »Schon möglich. Aber du fragst dich doch sicher, warum er hier oben war.«
    »Nein, tu ich nicht.« Seine Stimme, kalt und versteinert, ließ den Anflug eines Zitterns heraushören.
    Mary spürte, wie James hinter ihr den Atem anhielt. Wenn Harkness vorhatte, Keenan zu einem Geständnis zu bringen, war das eine verzweifelte und törichte Art. Das konnte nichts werden. Es war nur ein Wunder, dass Keenan noch nicht ausgerastet war.
    Sie schob sich ein paar Zentimeter weiter vor, um einen besseren Blick auf Keenans Gesicht zu erlangen. Sie stand inzwischen fast vollständig sichtbar für die beiden im Eingang. Im ganzen Glockenstuhl gab es keine Deckung, keine kleine Nische, in die sie unbemerkt schlüpfen konnte. Und über ihnen allen hing die große Glocke hoch oben in der Turmspitze   – wie eine erhabene, richtende Gottheit, die darauf wartete, dass die unbedeutenden Menschen da unten etwas Entscheidendes taten. Handelten, statt zu reden.
    »Ich sage es dir.«
    »Ich habe doch gesagt, ich frage nicht!« Wie ein Peitschenschlag knallte Keenans Stimme durch den kleinen Raum und hallte in der großen Höhlung der Glocke wider.
    »Es war sein Vorschlag   – Wicks, meine ich   –, sich hier oben zu treffen«, sagte Harkness. Er konnte doch nicht blind sein gegenüber der aufkommenden Panik von Keenan. Nein, er schien eher froh darüber. »Er bestand sogar darauf. Ich wollte mich gar nicht mit ihm treffen und versuchte ihn so lange wie möglich hinzuhalten. Er wollt ja doch nur seine Forderungen hochschrauben, weißt du. Natürlich weißt du das   – du hast ihn wahrscheinlich dazu angestiftet. Stimmt das nicht, Keenan?«
    Der Maurerpolier machte nur ein finsteres Gesicht, rührte sich jedoch nicht.
    »Egal; wir trafen uns also auf Wicks Wunsch nach Einbruch der Dunkelheit hier im Turm. Es war ungefährzehn Uhr. Ich kam etwas zu spät und Wick war verärgert. Er machte mir auf unflätigste Weise Vorwürfe. Und ich   – ich hatte allen Mut verloren und ließ ihn gewähren.« Harkness’ linkes Auge zuckte, aber nur ein Mal. »Das bereue ich vielleicht am meisten: dass ich mich als Gentleman vergessen habe.« Er unterbrach sich einen Moment, dann holte ihn eine leichte Bewegung Keenans in die Gegenwart zurück. »Wie auch immer. Wick verlangte eine Erhöhung des bereits unverschämt hohen Bestechungsgeldes: zwölf Pfund pro Woche dafür, dass er über meine Fälschungen in der Buchhaltung schwieg.
    Ich habe ja bereits gesagt, dass mir die zehn Pfund schon das Genick brachen. Ich war längst ruiniert, auch wenn ich das noch nicht erkannte. Aber ich wusste, dass ich diese Forderung nicht erfüllen konnte, und ließ den Schurken das ganz unmissverständlich wissen. Er hatte die Unverschämtheit zu sagen, er würde zu meiner Frau gehen und sie über die Situation aufklären, und sie wäre vielleicht bereit, ihren Schmuck zu verkaufen, um meinen guten Namen zu retten. Und er   – er deutete auch noch an, wenn der Schmuck nicht ausreichen würde, um ihn zufriedenzustellen, dann   … seine Worte waren eben die eines ordinären Schurken   …« Harkness unterbrach sich erneut, um seinen Zorn hinunterzuschlucken. Als er weiterredete, klang seine Stimme kühl und gleichgültig.

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