Eine fast perfekte Tarnung Meisterspionin Mary Quinn
hat. Ein mildes, anregendes Mittel aus irgendeinem tropischen Blatt. Nichts, weswegen man sich Sorgen machen muss.«
»Kommt mir aber gar nicht milde vor. Wie viel hast du genommen?«
»Du klingst ja wie ’ne alte nörgelnde Großmutter. Genug, um das hinter uns zu bringen.«
»Und hinterher muss ich dich wohl vom Kopfsteinpflaster kratzen.«
»Ach, dafür hab ich doch Barker.«
Schweigend stiegen sie bis zum letzten Treppenabsatz, wo James ihr die Hand auf den Arm legte. »Wir sollten einen Plan machen.«
»Wir wissen ja nicht mal, was uns erwartet. Das müssen wir doch wissen, ehe wir einen Plan machen können.«
»Also, meine Theorie lautet wie folgt: Harkness und Keenan sind da oben und wickeln ihr Geschäft ab. Ich würde gern wissen, ob Harkness tatsächlich in den Diebstählen mit drinsteckt und in welchem Ausmaß. Lass uns näher rangehen und möglichst lange zuhören, ehe wir eingreifen.«
»Selbstverständlich. Aber was hast du dann vor?«
»Ihn festhalten, bis die Polizei kommt.«
»Keenan festhalten? Viel Glück.«
»Wir beide zusammen – vielleicht sogar zu dritt …«
Mary sah ihn an. Seine Augen glänzten, selbst in dem Gaslicht. Glänzten möglicherweise von dem unterdrückten Fieber – aber wohl eher von den Auswirkungen des Mittels. Er bebte vor Ungeduld und Erregung, was eigentlich ganz untypisch für James war. Auf einmal fragte sie sich, ob er tatsächlich der beständige, intelligente Verbündete war, wie sie angenommen hatte – doch dann schob sie den Zweifel beiseite. Es war einfach keine Zeit dafür. Was immer passierte oder was er tat, sie musste einfach spontan reagieren und das Beste hoffen.
Als sie die letzten paar Stufen hinaufschlichen, war Mary sehr froh, dass sie schon einmal hier oben gewesen war. Die Sonne stand jetzt sicher schon ganz tief über dem Horizont, und sie wusste nicht, wie hell der Glockenstuhl erleuchtet sein würde. Ohne eine ungefähre Vorstellung von seiner Größe und der räumlichen Aufteilung hätte sie keine Ahnung gehabt, was vor ihr lag, und fast keine Chance, ungesehen zu bleiben. Es war kein großer Vorteil, beruhigte sie jedoch etwas.
»Mary?« James war so dicht hinter ihr, dass sein Flüstern sie am Ohr kitzelte.
»Ja?«
»Mein Arzt hat mir Aufregung jeglicher Art strikt verboten.«
Sie musste fast kichern. »Halt den Mund, James.«
»Kannst du was sehen?«
»Nein, und hören auch nicht!«
Aber dann hörte sie doch etwas. Männliche Stimmen, klar und ganz in der Nähe.
»Zahlen Sie nun oder nicht? Ich hab nicht die ganze Nacht Zeit.«
»Ich auch nicht, Keenan.« Harkness klang seltsam ruhig. »Ich auch nicht.«
Die Stimmen waren so nah, dass sich Mary instinktiv zurückzog und an den warmen Körper von James stieß. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. Falls es beruhigend gemeint war, hatte es eher den gegenteiligen Effekt: Seine Finger zitterten, und sie fragte sich erneut, was er da eingenommen hatte.
»Also, was ist?«
»Du bekommst schon, was du verdienst, Keenan. Dafür sorge ich.«
»Sie können mir nicht drohen, Harkness. Ich hab keine Angst vor Ihnen.«
»Ach wirklich! Aber jetzt kommt das Interessante: Ich habe auch keine Angst mehr vor dir.«
Es entstand eine Pause.
»Das hast du nicht erwartet, was? Was passiert, wenn der dumme, alte Harkness keine Angst mehr vor dir hat?«
Wieder eine Pause.
»Keine schlaue Erwiderung von dir, Keenan? Du bist doch sonst nicht auf den Mund gefallen.«
»Hören Sie mit Ihrem Gequatsche auf. Zahlen Sie nun oder nicht?«
»Ich zahle nicht.« Harkness holte tief Luft, und Mary konnte an seiner Stimme hören, dass er lächelte. »Verstehst du? Ich zahle nicht mehr, du dreckiger Erpresser.«
James zog scharf die Luft ein. Mary erstarrte – es klang so laut an ihrem Ohr –, aber Keenan und Harkness fuhren fort, völlig vertieft in ihre Auseinandersetzung.
»Ich habe vorhin ein bisschen gerechnet«, sagte Harkness in leichtem Ton. »Weißt du eigentlich, wie viel du aus mir rausgepresst hast, Keenan? Die Summe, die ich dir und Wick über die letzten zehn Monate gezahlt habe?« Er wartete nicht auf eine Antwort. »Zuerst hat sich das nicht nach viel angehört. Ein Pfund pro Woche. Dann zwei. Oder auch noch fünf. Fünf hab ich auch noch geschafft. Allerdings nehme ich an, dass es zwischen euch dreien aufgeteilt werden musste, deshalb ist es dir nach einer Weile nicht mehr so viel vorgekommen. Aber zehn Pfund – zehn Pfund pro Woche! –, das hat mir
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