Eine Feder aus Stein
spürbaren Rillen und dachte darüber nach, wann das Messer zum letzten Mal benutzt worden war. Normalerweise wäre es kaum möglich gewesen, ein Messer aus vulkanischem Gestein derart scharf zu schleifen. Aber natürlich war dieses hier nicht mit gewöhnlichen Mitteln hergestellt worden.
Richard löste seine Beine aus dem Schneidersitz, ließ die Schultern kreisen und versuchte die Muskelverspannungen wegzudehnen, die er sich beim Paddeln und Graben geholt hatte. Die Metallkiste lag auf seiner Matratze auf dem Boden. Den Schmutz hatte er zum größten Teil abgewischt, genug jedenfalls, um erkennen zu können, dass das Metall vom Zahn der Zeit und vom Rost unberührt geblieben war und sich die aufgemalten Symbole immer noch deutlich abhoben. Das Symbol auf dem Deckel der Kiste, schwarz, eckig und fließend, passte genau zu dem Tattoo, das sich quer über sein Brustbein zog.
In der Kiste gab es noch andere Dinge, doch als Richard das Messer wieder an seinen Platz legen wollte, klingelte es an der Tür. Er runzelte die Stirn und versuchte zu erspüren, wer es war, doch er war sich unsicher. Jemand klopfte heftig an die Tür. Kopfschüttelnd schob Richard die Kiste unter ein loses Dielenbrett unter seinem Bett und sprach einen schnellen Zauber.
Wieder läutete es an der Tür. Das Letzte, was Richard jetzt wollte, war, sich mit irgendwelchen Leuten abgeben zu müssen, doch es klang nicht so, als habe der Jemand da draußen vor, sich bald wieder zu verziehen.
Er war schon fast an der Tür, als es wieder läutete.
Richard sperrte auf und öffnete die Tür. »Ja, ist ja gut, regen Sie sich …«
Draußen stand Clio und erwiderte seinen Blick. Ihre Augen waren klar und von dem tiefen Grün eines Kamelienblatts.
»… ab«, beendete Richard seinen Satz. Er hasste es, wie sich sein Herzschlag jedes Mal beschleunigte, sobald er sie sah. Was tat sie hier, so mitten am Tag? Und überhaupt? »Solltest du nicht in der Schule sein?«
»Es ist vier Uhr«, sagte sie auf ihre typisch überlegene Art, aus der man das unausgesprochene du Idiot am Ende geradezu heraushören konnte. »Ist Luc da?«
Seine Augen verengten sich, und wie aus dem Nichts begann sein Herz zu brennen, als hätte jemand einen Stacheldraht darum gewickelt und festgezurrt. »Bedaure. Dein Liebster ist ausgegangen.« Er klang gelassen, desinteressiert. Gut. Er drehte sich um, lief den Gang hinunter und ließ sie einfach stehen. Hinter ihm schloss sich die Tür, doch er weigerte sich, sich umzudrehen. Er hörte Schritte und ihm wurde die Kehle eng. Aus irgendeinem Grund brachte Clio ihn in Verlegenheit. Es war zu ärgerlich. Niemand sonst schaffte es, ihn so aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Mit zusammengebissenen Zähnen lief Richard in sein Zimmer zurück. Als er seine Matratze auf dem Boden erblickte, fluchte er leise. Du blöder Arsch. Warum bist du nicht in die verdammte Küche gegangen? Er schnappte sich seine Zigaretten und zündete sich eine an. Er wusste nur zu gut, wie sehr sie das hasste.
Clio stand in der Tür seines Zimmers, das sie nun zum ersten Mal sah: die dunkelblauen Wände mit den aufgemalten silbernen Symbolen. Abgesehen von einem Nachttisch, einer Matratze, einem kleinen Altar in einer Ecke und einer kaputten Anrichte war der Raum so gut wie leer.
Er drehte sich um, sah sie an und blies eine Rauchwolke an die Decke. Die Rotorblätter des Ventilators durchschnitten die Wolke. Sie verschwand.
»Wann kommt er denn wieder?«, fragte Clio. Ihr Gesicht war verschlossen und ein wachsamer Ausdruck lag in ihren Augen. Sie schien sich nicht danach zu sehnen, mit Richard allein zu sein. Wunderbar. Wenigstens darin stimmten sie überein. Wahrscheinlich war sie immer noch sauer, dass er sie bei der Récolte an sich gerissen hatte.
»Weiß nicht«, sagte Richard gelangweilt. »Schließlich bin ich nicht sein Aufseher. Manchmal bleibt er die ganze Nacht weg.« Schmerz und Wut flackerten in ihren Augen auf, was Richard auf eine niederträchtige Art und Weise freute. Das geschah ihr ganz recht, was musste sie auch Luc nachträumen? Eigentlich hatte er nie größere Probleme mit ihm gehabt, aber das hier wurmte ihn irgendwie doch. Er blies noch eine Rauchwolke zur Decke, während sein Blick auf ihr ruhte.
»Muss das sein?«, fragte sie scharf. Sie stand noch immer im Türrahmen und hielt die Tasche an ihrer Schulter so fest umklammert, als wollte er sie ausrauben.
»Das ist mein Zimmer«, erwiderte er. »Ich kann hier tun und lassen, was ich
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