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Eine Feder aus Stein

Eine Feder aus Stein

Titel: Eine Feder aus Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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strich sich das Haar in den Nacken. Sie bückte sich nach ihrer Tasche. Richard ertrug es nicht, in ihrer Nähe zu sein.
    Schon ein paar Minuten lang hatte sie ihn nicht angeschaut. Jetzt ließ sie ihn ohne ein weiteres Wort stehen, lief den Gang hinunter und schloss die Eingangstür hinter sich. Und das alles, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen.
    Das Gefühl von Verzweiflung war nichts Neues für Richard, es war eher so etwas wie sein ständiger Begleiter. Doch dieses Elend, das einem die Kehle zuschnürte, diese verrückte Sehnsucht, das Verlangen, der Schrecken und all das auch noch durcheinander … das war neu.
    Jetzt, da sie weg war, legte sich Richard aufs Bett. In einer Minute würde er aufstehen und ungefähr eine halbe Flasche Scotch trinken. Das würde guttun. Seinen Verstand und seinen Körper einfach herunterfahren.
    Wieder öffnete und schloss sich die Eingangstür. Richards Herz machte einen Satz – war sie zurückgekommen? Wenn sie zurückgekommen war, würde er sie nehmen. Komme, was wolle, er würde sie in den Armen halten, sie küssen, sich in ihr verlieren und an nichts denken, außer an das immense Vergnügen, für eine Weile an nichts zu denken.
    »Hey.« Luc stand in der Tür. Richard kam es so vor, als wäre sein Leben zu einem surrealen Film geworden.
    »Hey«, brachte er hervor. In seinem Kopf drehte sich alles.
    »Alles okay?« Luc betrachtete ihn missbilligend.
    »Jup.«
    Seufzend lehnte sich Luc gegen den Türrahmen. »Marcel ist hier. In der Stadt.«
    Richards Magen zog sich ein wenig mehr zusammen, sofern das überhaupt noch möglich war. Na toll. Jetzt war sein Tag perfekt.
    »Und Claire auch. Sie ist bei Jules.«
    »Gut.« Richard mochte Claire.
    »Wollen wir uns was zu essen besorgen?«
    Richard überlegte kurz. »Ja. Gib mir noch ’ne Minute, ich stell mich kurz unter die Dusche.« Eine sehr kalte Dusche.

Kapitel 16
    Wahre Liebe
    Es wird jeden Tag früher dunkel, dachte Sophie, während sie die Straße hinuntereilte. Sie hatte ihr Auto einige Blocks weiter weg abgestellt, auf dem erstbesten Parkplatz, den sie hatte finden können. Jetzt entfernte sie sich rasch vom Fluss und den touristischen Teilen des Französischen Viertels und lief in Richtung der ruhigeren Wohngegenden.
    Sogar hier in der Stadt, inmitten der Lichter und des Lärms, bemerkte man den Wechsel der Jahreszeiten noch. Wehmütig dachte Sophie an die Jahre zurück, die sie und Manon im Norden von Virginia verbracht hatten. Wenn man sich ein perfektes Gleichgewicht zwischen den Jahreszeiten wünschte, dann war Virginia genau der richtige Ort – sogar besser als Paris. Drei Monate lang herrschte dort richtiger Winter, inklusive Schnee, danach folgten drei Monate wunderbarer Frühling, die Art Frühling, die als Erstes die Feierlichkeiten der Göttin inspiriert hatte, eine berauschende, aufregende Wiedergeburt des Lebens in all seinen Formen: eine in frische Farben getauchte Welt. Dann kamen drei Monate heißer Sommer, heiß genug, um in den Flüssen und Seen zu baden, sich in der Sonne zu aalen und sich dabei schlaff und träge zu fühlen. Dann der Herbst. Die ersten beißenden Windböen, die einen mit eiskalten Wangen zurückließen, die leuchtende Färbung der Blätter, wenn sich die Bäume auf den Winter vorbereiteten. Blätter, die unter den Füßen raschelten, Äpfel, die Festlichkeiten der Récolte und des Monvoile. Jede Jahreszeit brachte eigene Freuden, eine ihr eigene, beinahe schmerzhafte Schönheit mit sich. Der zyklische Rhythmus der Jahreszeiten und der Lauf der Zeit, der jährliche Tod und die darauffolgende Wiedergeburt, das waren die Grundlagen der Bonne Magie.
    Und nun war sie wieder in New Orleans, und obwohl die Tage Woche um Woche kürzer wurden, konnte man kaum von einem richtigen Herbst sprechen.
    Sophie überquerte eine Straße, wobei sie problemlos zwischen zwei Autos hindurchlief, die sich im Schneckentempo auf die Canal Street zubewegten.
    Im Grunde genommen dauerte der Sommer in New Orleans neun Monate, gefolgt von drei Monaten schlechten Wetters. Nur wenige Bäume verloren ihre Blätter, und die, bei denen sie doch abfielen, waren nicht so überwältigend prachtvoll gefärbt. Sie wurden einfach nur braun. Darauf folgte ein scheußlicher, nasser und normalerweise kalter, doch manchmal auch deprimierend warmer Winter. Dann ein Frühling, der vielleicht eine Woche dauerte. Und schon war wieder Sommer.
    Das hatte auch schöne Seiten. Nach Monaten und Monaten unerbittlicher Hitze überkam

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