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Eine Feder aus Stein

Eine Feder aus Stein

Titel: Eine Feder aus Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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Rosen im Garten unserer Nachbarn. Ich roch andere Tiere, feuchte Ziegel, grüne Blätter, verrottende Pflanzen und Erde. Es schmeckte alles schrecklich aufregend und meine Sinne schienen beinahe überladen. Mir war schwindelig vor lauter Wahrnehmungen, und ich war von heftiger Vorfreude erfüllt, diese neue Welt, die sich da vor mir auftat, zu erforschen. Lachend und mit sicherem Tritt wirbelte ich auf der zwanzig Zentimeter dicken Mauer im Kreis. Es war verblüffend, wie gut ich in der Nacht sehen konnte. Ich starrte alles an, sah jedes dunkle Blatt, jede sich wiegende Pflanze und jede Grille im Gras, ein makellos deutlicher Schnappschuss nach dem anderen.
    Und ich sah sieben Katzen, die wie versteinert auf dem Boden in meinem Garten saßen.
    Eine plötzliche Furcht überkam mich, eine animalische, starke, heftige Furcht, die von allen Gedanken losgelöst war. Waren sie tot? Hatte ich sie getötet? Und wenn ich sie getötet hatte, dann hatte ich auch einen Teil von mir getötet … ja schlimmer noch, ich war zu etwas geworden, das mich selbst mit Schrecken erfüllte. Schnell sprang ich von der Mauer herunter und berührte Q-Tips Fell, das im trüben Mondlicht weiß schimmerte. Er war noch am Leben. Am Leben, aber nicht mehr er selbst. Voller Scham begriff ich, was ich getan hatte. Die Enttäuschung war vernichtend.
    Ich ließ mich wieder in dem Kreis nieder und versuchte mein wild klopfendes Herz zu beruhigen. Ich wollte dieses Gefühl nicht mehr missen, diese unglaubliche, berauschende Außergewöhnlichkeit. Es wäre so leicht, es sich einfach zu nehmen, es sich zu nehmen und zu behalten und sich nicht weiter um die Konsequenzen zu scheren.
    Doch siebzehn Jahre Lehrstunden und Übungen bei Nan hatten zu tiefe Spuren in mir hinterlassen und ich war ihr dankbar dafür. Ihre Lektionen gaben mir die Kraft, das zu tun, was ich alleine vielleicht nicht geschafft hätte. Ich schloss die Augen und sang den vierten und letzten Teil des Zaubers, der alles wieder rückgängig machen würde, was ich ins Leben gerufen hatte. Noch bevor ich die seltsamen, alten Worte ganz ausgesprochen hatte, strömten die Katzenseelen aus mir heraus, fühlte ich, wie ich weniger wurde. Weniger ausgedehnt, weniger kraftvoll. Flacher, vollständig menschlich. Unsere Energien stoben auseinander und jede der Katzen erwachte wieder zum Leben. Sie blinzelten, richteten sich auf und blickten verwirrt und ängstlich um sich.
    Von einem Augenblick zum nächsten zerstreuten sie sich. Sie nahmen diesen Ort als etwas Krankes wahr, vor dem sie fliehen mussten, also flitzten sie auf und davon, drückten sich unter Zäunen durch, sprangen über sie hinweg oder rannten unser Gässchen hinunter bis zur Straße. Sie flohen vor mir und vor dem, was ich getan hatte.
    Nur Q-Tip nicht. Er saß mir noch immer gegenüber und wir sahen uns an. Da er taub war, konnte er nichts von dem Zauber gehört haben, und doch hatte er auf ihn gewirkt. Er war nur eine Katze, doch trotzdem lag in seinen Augen eine starre Gewissheit. Er wusste, was ich ihm angetan hatte. Er wusste, dass ich die Sorte Mensch war, die ihm seine Kraft nahm und sie dann gegen seinen Willen gebrauchte. Langsam wandte er sich von mir ab und lief auf das Haus zu. Der Umriss seiner beleidigten Rückenansicht wirkte wie eine einzige bittere Anschuldigung.
    »Es tut mir leid«, flüsterte ich. Aber natürlich hörte er mich nicht – keiner von ihnen hörte mich. Schuld und Scham überkamen mich. Ich hatte die Kraft eines niederen Wesens vereinnahmt und zu meiner gemacht. Und es hatte mir so sehr gefallen. Ich wollte es wieder tun.
    Mein Gesicht verzog sich. Ich versuchte mich zurückzuhalten, doch es gelang mir nicht. Schluchzer entrangen sich meiner Brust. Ich versetzte den Kerzen und den Pokalen mit dem Wasser und dem Sand einen Tritt. Ich sank zur Seite, rollte mich auf dem Boden zusammen und schluchzte und schluchzte. Meine Arme bedeckten mein Gesicht, und ich machte mich so klein, wie ich nur konnte. Doch so klein und unbedeutend konnte ich gar nicht werden, als dass die Göttin nicht sähe, was ich getan hatte, die schreckliche Grenze nicht erkannte, die ich überschritten hatte.

Kapitel 14
    Thais
    Als ich am Freitag nach Hause kam, war Melysa bei uns.
    »Gott sei Dank ist die Woche vorbei«, stöhnte ich und ließ meinen Rucksack fallen. »In letzter Zeit kommt es mir so vor, als dauerte jede Woche Monate.« Ich ging zum Kühlschrank, nahm mir einen Eistee und ein Joghurt und setzte mich an den

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