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Eine Frage der Schuld - Mit der Kurzen Autobiographie der Graefin S A Tolstaja

Titel: Eine Frage der Schuld - Mit der Kurzen Autobiographie der Graefin S A Tolstaja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Tolstaja Ursula Keller Alfred Frank Ursula Keller
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und warf seinen schönen Kopf zurück. In ihm tobte offenbar ein schrecklicher Kampf, doch endlich entschloß er sich und hob leise, immer wieder stockend an zu sprechen:«Anna, ich muß mit Ihnen reden. Ich hatte es schon lange vor, aber es ist so schwer!»Er machte eine Pause.«Ist Ihnen irgendwann in den Sinn gekommen, daß der alte Freund Ihrer Familie in Ihnen etwas anderes sehen könnte als ein nettes, liebes Mädchen...?»Die Stimme versagte ihm.
    Anna zuckte zusammen.
    «Und fühlen», fuhr er fort,«daß es ohne dieses Mädchen für ihn weder ein Leben noch das Glück geben kann - gar nichts.»
    Anna zitterte, ihre dünnen, eisig gewordenen Finger wollten ihr nicht mehr gehorchen, und Chopins« Prélude »brach ab.
    «Spielen Sie, spielen Sie», beschwor sie der Fürst.
    Anna schlug leise und nervös die Tasten an, und unter ihren Fingern klang erneut Chopins wehmütige Melodie auf.
    «Also, Anna, ich verlange einstweilen nichts von Ihnen, nur liebe ich Sie so, wie noch niemand auf der Welt geliebt hat. Es mag Ihnen lächerlich erscheinen, Ihren alten Freund zu Ihren
Kinderfüßen liegen zu sehen. Doch für mich ist das überhaupt nicht lächerlich! Ich habe mich die ganze Zeit zermartert, gleichwohl bitte ich Sie um eines: Sollten Sie mich nicht lieben können, wenn Sie meine Frau werden, dann sagen Sie mir nichts, weisen Sie mich ab. Besser, diese Pein jetzt durchzumachen als dann, wenn Sie erst meine Frau sind.»Der Fürst verstummte. Er war bleich, und seine Lippen bebten leicht. Ja, das war Liebe, eine Liebe, die so gar nicht jenen ihm zur Gewohnheit gewordenen zufälligen Liebesabenteuern glich. In dieser Liebe wähnte er das Fegefeuer, das ihn den Unflat seiner Verfehlungen aus der Vergangenheit vergessen lassen würde. Er freute und entsetzte sich zugleich darüber.
    Anna hörte auf zu spielen, sah den Fürsten an, überlegte einen Moment, doch plötzlich erhob sie sich entschlossen, straffte sich und trat dicht an ihn heran.«Ja, ich werde Sie lieben, wenn ich Ihre Frau bin», antwortete sie schlicht und rasch, wobei sie dem Fürsten die Hand reichte und ihm naiv und zärtlich in die Augen sah, und er erkannte, daß sie nicht lügen konnte, daß sie dazu gar nicht imstande war. Dieses aufrichtige Mädchen würde sein Wort mit derselben Festigkeit und Einfachheit halten, mit der es sich soeben erklärt hatte.

    Der Fürst ergriff Annas Hände und begann sie zu küssen.«Ist das wahr? Ist das wahr?»wiederholte er ein paarmal.
    Sie entzog ihm ihre Hände nicht und betrachtete ruhig und freudig, wie leidenschaftlich er sie küßte, doch ihr Gesicht drückte nicht die Spur einer Erregung aus, die seine unbezähmbare Leidenschaft erwidert hätte.
    Als sie sich nach diesem wichtigen Ereignis in ihr Mädchenbett legte, trat ihr das ganze künftige Leben vor Augen. In ihr waren weder Furcht noch Bedenken, daß sie aus irgendeinem Grund unglücklich sein könnte mit diesem ihr vertrauten, guten, teilnahmsvollen Freund, der sie so liebte, der so klug, gebildet, schön und von gepflegtem Äußerem war. Sie freute sich, in sein Leben zu treten, und stellte sich mit so heißem Verlangen darauf ein, sich voll und ganz all seinem Tun hinzugeben, das sicherlich edel, nützlich und in jeder Hinsicht großartig war, daß sie mit einem ruhigen Lächeln des Glücks einschlief.

V
    Am nächsten Morgen setzte Anna ihre Mutter und die Schwester über den Heiratsantrag des Fürsten in Kenntnis. Alle hatten ihn erwartet und nahmen ihn als gegeben hin. Olga Pawlowna geriet in Aufregung wegen der Mitgift und entschloß sich unverzüglich zu einer Fahrt nach Moskau, die sie in etwa fünf Tagen unternehmen wollte, damit für alles, was zu nähen war, Maß genommen würde. Anna sträubte sich zunächst dagegen und bat, sie von dieser Qual zu befreien. Doch Olga Pawlowna reagierte so heftig besorgt, daß sie nachgeben und versprechen mußte, sich zu fügen.
    Der Fürst wich tagelang nicht von Annas Seite. Er war die ganze Zeit schrecklich aufgeregt und drängte zur Eile mit der Hochzeit; eine Mitgift sei völlig unnötig, erklärte er immer wieder. Wenn er mit Anna allein blieb, wuchs seine Erregung in einem Maße, daß er kein Wort mehr herausbekam, ihr die Hände küßte und oft nicht einmal auf das hörte, was sie sagte. Anna versuchte ihm ein paarmal wie früher von ihren persönlichen Interessen zu erzählen, davon, wie schwer sie es bei Mischa mit dem Musikunterricht habe, da ihm das Gehör fehle, wie es ihr
gelungen sei,

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