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Eine Frage des Herzens

Eine Frage des Herzens

Titel: Eine Frage des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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nach Palm Beach.«
    Regis schüttelte den Kopf.
    »Pierce, lass sie ihre Arbeit verrichten«, sagte Mrs. Wells. »Und geh deinen Bruder wecken, bevor ich ernsthaft böse werde. Wir haben um halb neun einen Tisch im Union Club zum Dinner reserviert, Sophia Stillwater wird auch da sein, und wenn wir wegen Andrew zu spät kommen, kann ich sehr unangenehm werden.«
    »Soll ich Beth Bescheid sagen?«, fragte Regis Mrs. Wells beim Hinausgehen.
    »Ja, bitte, und zwar umgehend«, erwiderte Mrs. Wells.
    Pierce beobachtete Regis mit Adleraugen. Am liebsten hätte sie ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen und wäre ins Dachgeschoss hinaufgerannt, um ihm zu entkommen. Doch in diesem Moment zitierte seine Mutter ihn herbei, damit er ihr half, das Badezimmer zu erreichen, ohne ihre frisch lackierten Nägel zu ruinieren. Dass sie ihren Sohn ablenkte, war für Regis das beste Geschenk von allen.
    Als sie endlich im Korridor war, blieb keine Zeit mehr, nach unten zu laufen und Beth Bescheid zu sagen, und so holte sie ihr Handy aus der Tasche der geborgten Dienstkleidung und schrieb Mirande eilends eine SMS : »Majestät braucht Beth!«
    Dann blickte sie nach links und rechts, als gälte es, eine gefährliche Hauptverkehrsstraße zu überqueren. Die Luft war rein. Sie lief zu der schmalen Tür am Ende des Gangs, drehte so leise wie möglich den Knauf und stieg die dunkle steile Treppe hinauf.
    Oben angekommen, spürte sie, wie eisig es im Dachgeschoss war. Hier gab es offenbar keine Heizung. Während sie durch den Gang eilte, spähte sie in jede Kammer. Sie waren klein und armselig, mit altersschwachen schmalen Betten und nackten Glühbirnen an den Decken. Nach der üppigen Pracht in den unteren Stockwerken schienen die Unterkünfte der Dienstboten einem Roman von Dickens entsprungen zu sein, und Regis kochte vor Wut bei dem Gedanken, dass Menschen auch heute noch so abscheulich behandelt wurden.
    Alle Räume waren leer, Kathleen war nicht oben. Hatte sie sich getäuscht oder etwas missverstanden? Hielt sich Kathleen gar nicht mehr im Haus auf, sondern war bereits auf dem Weg nach New York? Nein, Mrs. Wells hatte soeben gesagt, dass Kathleen sich für die Abfahrt bereithalten solle, im Wagen mit Mr. Wells und Bobby, wer immer das sein mochte.
    Regis warf einen Blick in einen weiteren Raum und wusste instinktiv, dass es Kathleens Kammer war. Eine Postkarte von Irland war in den Spiegelrahmen geklemmt, vom romantischen Sandstrand des North Beach in Courtown in der Grafschaft Cork. Regis betrachtete sie und spürte Kathleens Heimweh. Sie sah sich im Raum um. Das Bett war abgezogen, und am Fußende der fleckigen Matratze lag eine sorgfältig zusammengefaltete blaue Decke.
    Der Raum enthielt weder Nachttisch noch Bücherregal, nur einen weißen Schreibtisch und einen Stuhl mit gerader Lehne. Die einzige »Lampe« war die nackte Glühbirne an der Decke. Regis’ Kehle war wie zugeschnürt. Der Gedanke, dass Kathleen hier lebte und in Florida vermutlich in einer ähnlichen Kammer untergebracht war, tat ihr in der Seele weh.
    Aber wo steckte Kathleen? Hatte sie das Weite gesucht, die Flucht ergriffen angesichts solcher Arbeitsbedingungen und Arbeitgeber? Regis war einer Panik nahe. Sie wusste, dass sich Bernie und Tom auf dem Weg zum Flughafen befanden, um Seamus abzuholen.
    In diesem Augenblick vernahm Regis ein Rascheln, das vom anderen Ende des Korridors kam. Sie stand wie angewurzelt da, hielt den Atem an und lauschte. Das Geräusch war so leise, kaum hörbar, dass man meinen könnte, es stamme von Mäusen, die in den Wänden nisteten.
    Regis’ Blick fiel auf eine alte Tür. Sie hatte früher einen grünen Anstrich besessen, doch die Farbe war abgeblättert. Sie war mit Brettern vernagelt. Das morsche Holz wirkte bedrohlich, schien vor dem Betreten des Raums zu warnen.
    Regis’ Mund war trocken, ihre Handflächen schweißnass, als sie näher trat. Jemand hatte eine der Latten herausgerissen und gerade so viel Platz geschaffen, dass man darunter hindurchkriechen konnte. Die abblätternde grüne Tür, die sich dahinter befand, war aufgestemmt worden.
    Regis ließ die Hand über das rauhe Lattenholz gleiten. Sie lauschte, das Ohr an die Tür gepresst, hörte aber nichts. Wer immer sich dahinter bewegt hatte, stand nun reglos da und wartete darauf, dass sie ging. Ihr Puls raste, als sie der Tür einen heftigen Stoß versetzte. Sie quietschte in den verrosteten Angeln. Dann duckte sie sich und trat ein.

24
    D er Flug war von Anfang

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