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Eine Frage des Herzens

Eine Frage des Herzens

Titel: Eine Frage des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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bis Ende ein Erlebnis gewesen. Seamus hatte keine Ahnung gehabt, was ihn erwartete. Mit dreiundzwanzig Jahren noch nie geflogen zu sein, das war beinahe eine Schande. Zumal er so viel Zeit am Flughafen verbracht und Hotelgäste, die in ferne, exotische Länder reisten, dort abgeholt oder abgeliefert hatte. Deshalb konnte er es kaum erwarten, endlich an Bord zu gehen.
    Sobald er seinen Platz eingenommen hatte, sah er sich um. Es war, als befände man sich in einem langen Schlauch aus Kunststoff, in dem kleine Fernsehbildschirme alle paar Meter von der Decke herabhingen. Die Sitze waren bequem, wenngleich ein wenig zu dicht hintereinander angeordnet, was nicht weiter schlimm war, wenn es einem nichts ausmachte, die Knie bis zur Brust hochzuziehen. Zugegeben, der Raum, der jedem einzelnen Passagier zur Verfügung stand, war ziemlich beengt, doch da er im St. Augustine’s aufgewachsen war, war er daran gewöhnt, Raum mit anderen zu teilen.
    Die Frau neben ihm brauchte Unterstützung beim Verstauen ihres Handgepäcks in dem Fach, das sich über ihren Köpfen befand. Seamus erbot sich, ihr zu helfen, und sie war sehr dankbar, als er ihren Handkoffer zwischen seinen eigenen und den eines anderen Passagiers quetschte. Es gefiel ihm, ein Reisender unter anderen Reisenden zu sein. Es spielte keine Rolle, ob sie Chauffeur oder Richter waren, sie saßen alle im selben Flieger. Er lehnte sich zurück, froh darüber, dass er einen Fensterplatz gewählt hatte.
    Der Start war atemberaubend. Seamus wusste eine erstklassige technische Ausrüstung zu schätzen und konnte sich nicht genug darüber wundern, wie viel Gas der Pilot geben musste, damit das Flugzeug vom Boden abhob. Als es über die Startbahn raste, blickte er zum Fenster hinaus, um nichts zu verpassen. Und dann – wow! Dieser Schub, den er im Kreuz spürte, als die Maschine steil aufstieg, nach rechts und dann nach links abdrehte, um geradeaus über die Dublin Bay zu fliegen. Nach einem weit ausholenden Schwenk in Richtung Westen erblickte Seamus Clontarf.
    Seine Kehle war wie zugeschnürt. Es war eine seltsame, unverhoffte, ihm völlig fremde Empfindung. Eine Gefühlsaufwallung, so mächtig wie die Beschleunigung der Flugzeugmotoren. Sie erschütterte ihn bis ins Mark, wie er sich eingestehen musste. Denn wenn er darüber nachdachte und sah, wie Clontarf im Kondensstreifen verschwand, den sie nach sich zogen, wurde ihm bewusst, dass dieses Gefühl mit Sixtus Kelly zu tun hatte – Tom Kellys Cousin.
    Es war nett von dem Mann gewesen, ihm zu helfen, seine Verbindungen spielen zu lassen, um ihm auf schnellstem Weg einen Reisepass zu verschaffen. Darum ging es bei diesem sonderbaren Gefühl, Dankbarkeit gegenüber einem Fremden, wenn man davon absah, dass es sich um Tom Kellys Verwandten handelte. Er hatte ihm jedenfalls geholfen, etwas zu bekommen, was er dringend brauchte. Und ihm nicht das Gefühl gegeben, ein Idiot zu sein, weil er keinen Reisepass besaß. Weltgewandte Männer wie die Kellys hatten in seinem Alter längst einen Reisepass gehabt und sich den Wind um die Nase wehen lassen.
    Bei dem Gedanken sah er Tom wieder vor sich, in seiner abgetragenen Tweedjacke, den alten Stiefeln und den Hosen, die dringend gebügelt werden mussten. Er wirkte alles andere als weltläufig. Sixtus eigentlich auch nicht, wenn man bedachte, wie mächtig der Mann war. Er hatte ihn herzlich empfangen, sich für das Gespräch alle Zeit der Welt genommen und ihm etwas über Clontarf und das Meeresungeheuer der Kellys erzählt. Er war sehr locker gewesen, überhaupt nicht überheblich.
    Als die Maschine nun nach Westen flog, ließ Seamus seine Hand in die Hosentasche gleiten. Ja, der Ring war da. Er konnte immer noch nicht glauben, dass Sixtus ihm dieses Kleinod zum Geschenk gemacht hatte, und fand es nach wie vor nicht richtig, ihn zu tragen. Aber ihn bei sich zu haben war ein gutes Gefühl. Die Gefühle drohten ihn abermals zu übermannen, als er an den Ring dachte. Und plötzlich, aus dem Nichts, tauchte das Bild einer Frau mit roten Haaren auf. Keine rabenschwarzen Haare wie Kathleens, sondern goldrot wie die seiner Mutter.
    Er hatte eine Mutter. Allein der Gedanke bewirkte, dass er den Ring umklammerte. Er hatte sich lange für eine Vollwaise gehalten, und dann hatte er Bernadette und Tom gegenübergestanden, von Angesicht zu Angesicht, im Innenhof des Hotels. Es war zu viel über ihn hereingebrochen, um es auf Anhieb zu verarbeiten.
    Dieser Brief, den er geschrieben hatte –

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