Eine Frage des Herzens
Grünschattierungen vor ihm aus, streckte ihm die Arme entgegen, um ihn willkommen zu heißen. Er machte Anstalten, seine Tasche aus der Ablage zu holen, um in der gleichen Sekunde, in der die Maschine landete, von Bord gehen zu können, doch die Stewardess erklärte ihm, sie hätten noch annähernd eine Stunde Flugzeit vor sich.
Mein Gott, war das Land so groß? Auf seinem Sitz auszuharren war eine Herausforderung für ihn, vor allem, nachdem der Kapitän angekündigt hatte, dass sie nun mit dem Landeanflug beginnen würden. Seamus kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Er sah, wie einige Passagiere in den Waschraum eilten, um sich frisch zu machen. Seine Sitznachbarin erzählte ihm, dass sie von ihrem Mann abgeholt werde. Das Paar vor ihm unterhielt sich, und er bekam zufällig mit, dass ihr Sohn am Gate auf sie wartete.
Plötzlich glaubte Seamus einen eisigen Hauch zu verspüren. Das Land draußen vor dem Fenster rückte näher. Es war nicht grün, die Bäume waren in ein Flammenmeer getaucht – scharlachrot, orange, gelb. Alles kam ihm mit einem Mal fremd und sonderbar vor. Worauf hatte er sich da eingelassen? Seamus Sullivan, der noch nie im Leben in einem Flugzeug gesessen hatte! Er hatte keine Ahnung, was die Transportmöglichkeiten in Amerika betraf. Er würde sich erkundigen müssen, ob ein Bus oder Zug nach Newport ging, oder vielleicht konnte er per Anhalter fahren.
Was war, wenn er Kathleen fand und sie ihn zurückwies? Oder sich überhaupt nicht mehr an ihn erinnerte? Mein Gott, inzwischen waren zehn Jahre vergangen. Wie war er jemals auf die Idee gekommen, dass sie ihn wiedererkennen würde? Unsinn – er dachte an die Postkarte. Sie hatte ausdrücklich nach ihm gefragt und seinen Namen genannt – James. Dann kam ihm ein neuer Gedanke. Was war, wenn er sie nicht ausfindig machen konnte? Wenn er die Häuser abklapperte und sie nicht mehr in Newport lebte?
Doch in diesem Augenblick war ihm, als hätte er einen elektrischen Schlag erhalten, und er wusste, Kathleen brauchte ihn. Er spürte es bis ins Mark, mit allen Sinnen. Sie rief ihn, klar und deutlich. Er hatte das Gefühl, ein unbekanntes Kraftfeld zu betreten. Hier an den Gestaden Amerikas spürte er ihre Gegenwart so stark wie nie zuvor – oder zumindest nicht mehr seit der Zeit in St. Augustine’s.
Er war so in Gedanken vertieft, dass er kaum etwas von der Landung mitbekam. Die Maschine holperte mit ohrenbetäubendem Lärm die Landebahn entlang. Dann rollten sie zum Gate, und alle Passagiere sprangen gleichzeitig auf, schalteten ihre Handys ein und riefen ihre Angehörigen an.
Wenn Seamus ihre Telefonnummer gehabt hätte, hätte er sie jetzt angerufen. Sie ahnte nicht, dass er sich ganz in ihrer Nähe befand und ihn nichts davon abhalten konnte, zu ihr zu gelangen. Sein Herz war schwer. Er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie in Not war, vielleicht sogar in Gefahr. Verzweiflung überkam ihn wie kalter, dunkler Nebel und schürte seine Angst.
Während sich die Passagiere in den Gängen drängten, um ihr Gepäck aus der Ablage zu holen, saß Seamus regungslos auf seinem Platz und versuchte sich zusammenzureißen. Er befand sich in einem fremden Land – in dem Kathleen lebte. Er ließ die Hand in seine Tasche gleiten und umfasste den Ring. Er erinnerte sich an Sixtus’ Worte, wenn er Kathleen finden wolle, werde er einen Talisman brauchen. Obwohl er sich bisher nicht dazu durchringen konnte, streifte er ihn jetzt über den Finger.
Umgehend fühlte er sich selbstsicherer, als besäße der Ring magische Kräfte. Er stand auf und wuchtete sowohl sein eigenes Handgepäck als auch das seiner Sitznachbarin herunter. Sie bedankte sich, wünschte ihm alles Gute, und er wünschte ihr das Gleiche. Der Ring fühlte sich schwer an seinem Finger an; er war es nicht gewohnt, Schmuck zu tragen. Er war aus massivem Gold, das Wappen eingeprägt. Seamus verspürte einen Stich – offenbar fing er an, sich den Kellys zugehörig zu fühlen. So wie er Tom behandelt hatte, war er sich nicht sicher, ob er das Recht dazu besaß.
Nach Betreten der Ankunftshalle eilte er seinen Mitreisenden voraus. Einige mussten auf ihre Koffer warten, doch Seamus reiste mit leichtem Gepäck, einem einzigen Handkoffer. Er hastete weiter, seine Angst wuchs. Wie sollte er sie finden? Er spürte, dass sie ihn brauchte, aber er hatte keine Ahnung, wie er zu ihr gelangen sollte.
Der Flughafen schien sich endlos auszudehnen. Doch schließlich gelangte er an den
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