Eine Frage des Herzens
Nagelpflegerinnen, Friseure und Masseure für Partys, Bälle und andere besondere Anlässe. Sie bedienten sich dabei einer Arbeitsvermittlungsagentur in der Spring Street, und gelegentlich kam es vor, dass man ihnen zu viel oder zu wenig Personal schickte.
Mrs. Wells pflegte ihren Unmut dann an Beth oder Kathleen auszulassen, sie für einen Fehler verantwortlich zu machen, der eindeutig nicht auf ihr Konto ging. Sie neigte zur Vergesslichkeit, wusste zum Beispiel oft nicht mehr, wie viele Bedienungen sie angefordert hatte oder an welchem Tag sie kommen sollten.
»Eine kleine Aufmerksamkeit des Hauses«, sagte Regis lächelnd. »Weil Sie unsere Dienste in diesem Sommer besonders häufig in Anspruch genommen haben.«
»Sie meinen, diese Dienstleistung ist kostenlos?«, hakte Mrs. Wells argwöhnisch nach.
»Ja«, bestätigte Regis. Beth hatte gesagt, die Familie sei abartig reich, aber auch furchtbar geizig. »Wir pflegen die Beziehungen zu unseren Stammkunden und hoffen, dass Sie uns nächstes Jahr wieder beehren.«
»Deshalb haben sie sich erboten, mir zu helfen, den Rest für Sie zu packen, Ma’am«, erklärte Beth. Regis kannte sie nur vom Hörensagen, merkte aber, dass sie angesichts der Lüge nervös war. Hals und Wangen waren feuerrot, und sie schien kurz davor, loszulachen. Doch ihre Sorge erwies sich als unbegründet. Mrs. Wells war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um dem Gedanken nachzuhängen, warum man ihr kostenloses Hilfspersonal ins Haus schickte.
»Mir soll es recht sein«, befand Mrs. Wells. »Ich brauche ohnehin eine Pediküre.«
»Wir sind hier, um beim Packen zu helfen«, warf Regis ein und spähte die Treppe hinauf. Sie konnte es kaum erwarten, ins Dachgeschoss zu laufen, um mit Kathleen zu sprechen.
»Darum sollen sich die beiden anderen kümmern. Sie kommen mit mir. Meine Füße brauchen Pflege vor der anstrengenden Fahrt nach New York.« Sie eilte die breite Freitreppe voran, mit frustrierter Miene, als wäre die junge Frau in ihrem Schlepptau ein Ärgernis, aber wenigstens waren ihre Fußnägel lackiert, bevor sie die Strapazen der bevorstehenden Reise auf sich nahm.
Regis prägte sich beim Gehen die Lage der Räume ein. Der Korridor im ersten Stock war lang und so breit, dass ein Rolls-Royce hindurchgepasst hätte. Sie spähte in die offenen Türen und sah mehrere geräumige Schlafzimmer mit Himmelbetten aus Mahagoni, Wände, die mit blassem Seidenmoiré bezogen waren, Deckenleisten und Deckenschalungen, Marmorkamine mit kunstvoll verzierten Simsen und Porträts von mürrischen Vorfahren.
In einem der Schlafzimmer, an denen sie vorüberkamen, sah sie einen Mann, der auf dem Rücken lag und schlief, in Laken verheddert, einen Arm zur Seite gestreckt. Er schnarchte, und eine Alkoholfahne wehte vom Bett herüber, eher ein Wirbelsturm, der Katzenjammer, Niedergeschlagenheit und Bedauern mit sich bringen würde. Regis konnte sie selbst auf die Entfernung wahrnehmen.
»Wach auf, Andrew«, rief Mrs. Wells barsch im Vorbeigehen. »Du hast den Brunch bei Eloise Craven verpasst. Sieh zu, dass du in zwei Stunden fertig bist. Steh auf, und zwar schnellstens!«
»Ihr Sohn?«, fragte Regis. Beth hatte erzählt, Kathleen habe sich mit einem der Söhne des Hauses eingelassen, doch dieses bedauernswerte Häufchen Mensch konnte einem Sohn von Tom und Tante Bernie mit Sicherheit nicht das Wasser reichen.
Mrs. Wells warf ihr einen Blick zu, als könnte sie nicht glauben, was für ein verheerender Fauxpas ihr soeben unterlaufen war. Unaufgefordert das Wort ergreifen?
Quelle horreur!
Regis senkte den Kopf wie eine bußfertige Sünderin und ermahnte sich, sich am Riemen zu reißen, um die Sache hinter sich zu bringen.
Als Mrs. Wells ihr Schlafzimmer betrat, hob sie gerade rechtzeitig den Blick, um eine schmale Tür am schattigen anderen Ende des Korridors zu erspähen. Regis war im Star of the Sea aufgewachsen, im Hauptgebäude, ursprünglich der Wohnsitz der erfolgreichsten irischen Familien in Connecticut. Sie wusste, wie die Räumlichkeiten in solchen Häusern angelegt waren – in den Schlafgemächern der Herrschaften gab es breite Türen und große Fenster, während die Türen in den Kammern der Dienstboten schmal und die Fenster winzig waren.
Die Tür am Ende des Korridors war offenbar der Dienstbotenaufgang ins Dachgeschoss. Regis’ Haut prickelte, denn nun wusste sie, wo sie Kathleen finden würde. Doch zunächst folgte sie Mrs. Wells in ihr Boudoir. Es war in Blassblau und
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