Eine Frage des Herzens
Manhattan und war als Unterkunft für Studenten in Irland gedacht, die das erste Studienjahr im Ausland verbrachten. Nach Verlassen des Konvents hatte Bernie einen alten Freund angerufen, einen Jesuiten, der manchmal zu Klausuren ins Star of the Sea kam und an der New Yorker Universität Philosophie unterrichtete. Er hatte einen Anruf getätigt und die Erlaubnis für sie erwirkt, ein Apartment zu beziehen, das normalerweise Gastdozenten vorbehalten war.
Schwester Anne-Marie war mit dem Bus gekommen, der vom Konvent abging, um sie zu besuchen. Bernie betätigte den Drücker, öffnete die Wohnungstür einen Spaltbreit und wartete mit klopfendem Herzen, bis ihre Freundin die Stufen heraufgekommen war.
»Bernie!« Anne-Marie stand im Flur und blickte sie forschend an. Sie war verdutzt, sie ohne Habit zu sehen. Bernie versuchte mit hocherhobenem Kopf dazustehen, um zu zeigen, dass sie stark war und ihre Gefühle unter Kontrolle hatte, doch als Anne-Marie die Arme ausbreitete, stürzte sie sich hinein.
»Ach Bernie. Alles wird gut … Gott segne dich, Bernie.«
»Ich konnte nicht in den Konvent zurück.«
»Das verstehe ich. Die meisten von uns würden Eleanor am liebsten den Kragen umdrehen.«
»Hat sie die Polizei benachrichtigt?«
»Natürlich nicht! Sie hat mit Sicherheit kein Interesse daran, dass herauskommt, was sie getan hat.«
»Wie hat sie dann reagiert?« Bernie trocknete ihre Tränen und hielt die Tür weit auf, um Anne-Marie eintreten zu lassen. Sie führte sie durch die enge Küche des kleinen Apartments ins Wohnzimmer. Sie nahmen einander gegenüber in den verschlissenen Armsesseln Platz, während die Lichter der Stadt, die sich im Fluss spiegelten, an der abblätternden Decke auf und ab hüpften.
»Sie hat das Chaos beseitigt«, sagte Anne-Marie. »Und Schwester Theodore befohlen, den Schaden so weit wie möglich zu begrenzen. Was bedeutet hat, mit uns allen zu reden, um herauszufinden, wo du stecken könntest.«
»Hast du es ihr gesagt?«
»Natürlich nicht.«
»Warum nimmt sie die ganze Sache so persönlich? Was geht es sie an, ob Tom und ich unseren Sohn finden oder nicht?«
Anne-Marie neigte den Kopf und wartete darauf, dass Bernie von alleine darauf kam. Doch Bernie war so benommen und erschöpft, dass sie sich überhaupt nichts mehr zusammenreimen konnte. Die hohen Fenster voller Regentropfen gingen auf den Fluss hinaus, der dem Meer entgegenströmte. Bernie blickte zum Himmel empor, der grau und bedeckt war, und fror.
»Du weißt, dass unsere Gemeinschaft ein Mikrokosmos des Lebens ist«, sagte Anne-Marie nach einer Weile. »Nur weil wir Ordensschwestern sind, müssen wir nicht perfekt sein oder auch nur annähernd vollkommen. Du weißt am besten, dass wir nicht auf alles eine Antwort haben.«
»Ja«, erwiderte Bernie leise.
»Sie ist eifersüchtig auf deine Frömmigkeit, auf dein Ansehen in der Kirche. Und ob du es glaubst oder nicht, sie ist fest davon überzeugt, das Richtige zu tun, indem sie ihn vor dir versteckt, seine Anonymität wahrt …«
»Aber warum?«
»Weil sie ledige Mütter hasst.«
»Ich bin Nonne«, entgegnete Bernie.
»Vielleicht glaubt sie deinen Sohn vor dir schützen zu müssen. Wenn jemand sie damals ihrer Mutter weggenommen hätte, wäre ihr Leben vielleicht besser verlaufen …«
»Diese Situation ist völlig anders«, murmelte Bernie und schüttelte den Kopf, dann sah sie ihre Freundin an. »Wusstest du, wo er war, Annie?«
Anne-Marie schüttelte den Kopf. »Ich hatte nicht die geringste Ahnung. Ich habe nie in einem der Kinderheime gearbeitet, sondern immer in den Schulen unseres Ordens unterrichtet. Es wurde nie über ihn gesprochen, nachdem du Irland verlassen hattest, um in den Konvent in Connecticut einzutreten. In meinen Augen war das ein Schutz für euch beide. Nur wenige Eingeweihte wussten, dass du ein Kind hattest …«
»Schwester Eleanor Marie, Schwester Theodore und du. Ich bin erst vier Wochen vor der Entbindung auf den Stufen des Konvents aufgetaucht.«
»Ja, doch das taten viele Mädchen. Die wenigsten treten in den Orden ein. Wir – die Schwestern, die ihm damals angehörten – waren selber noch sehr jung und auf unsere eigene Berufung konzentriert. Kaum jemand nahm nach deiner Rückkehr als Novizin Notiz davon, dass du einen Monat vorher als Hochschwangere bei uns aufgetaucht warst. Abgesehen davon …«
»Was, Annie?«
Sie blickte Bernie an. »Nun, alle kannten dich als Mitschwester, die eine Marienerscheinung gehabt
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