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Eine Frage des Herzens

Eine Frage des Herzens

Titel: Eine Frage des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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hatte.«
    »Ein und derselbe Mensch, aber zwei unterschiedliche Leben.«
    »Was meinst du damit?«
    Bernie schloss die Augen. Damals, in jungen Jahren, hatte es nur Tom gegeben. Sie waren miteinander aufgewachsen, hatten am Strand und auf den grünen Wiesen und Feldern von Star of the Sea gespielt. Er war einer ihrer engsten Freunde und ihre erste Liebe, aber sie hatte gespürt, dass es sie gleichzeitig in eine andere Richtung zog.
    Der Konvent in Black Hall, Connecticut, unmittelbar an der malerischen Küste gelegen, war für sie immer ein Sanktuarium gewesen. Sie fühlte sich zu den Nonnen hingezogen, hatte in Erfahrung bringen wollen, wie ihr Leben beschaffen sein mochte. An manchen Tagen verspürte sie den inneren Drang, sich ihnen anzuschließen, einem weltlichen Leben zu entsagen und in den Orden einzutreten.
    Sie hatte davon geträumt, Nonne zu werden, in Gebet und Andacht niederzuknien, ihr Herz dem Heiligen Geist und der allumfassenden Liebe Gottes zu öffnen. Sie hatte sich ausgemalt, einen Habit zu tragen. Sie hatte heimlich das schwarze Kleid ihrer Mutter angezogen, mit dem hohen Kragen und dem Seidenfutter, und einen schwarzen Schleier in ihren Haaren befestigt.
    Doch dann hatte sie den Schleier heruntergerissen und war nach draußen geeilt, weil sie mit ihrem Freund Tom verabredet war. Sie hatten viel Spaß – sie lachten miteinander, gingen schwimmen, stibitzten Trauben im Weinberg. In ihrer Kindheit und Jugend schienen sich ihre beiden innigsten Wünsche zu ergänzen – die Liebe zu Gott und die Liebe zu Tom. Doch als sie älter wurde, nach Abschluss des College, als sie erkannte, dass die religiösen Gelöbnisse eine ernste Angelegenheit waren, begann sie die ganze Tragweite der Entscheidung zu begreifen, der sie sich gegenübersah.
    Um das eine Leben zu wählen, musste sie das andere aufgeben.
    Tom hatte angefangen eine Reise nach Irland in Erwägung zu ziehen, und er wollte unbedingt, dass sie ihn begleitete. Sein irisches Erbe war ungemein wichtig für ihn – seit jeher, wie Bernie wusste.
    In dem Sommer vor Antritt der geplanten Reise hatte Bernie einen Spaziergang im Star of the Sea gemacht. Sie hatte die Blaue Grotte betreten und sich auf den Boden gekniet. Vor der Marienstatue um Erleuchtung betend, hatte sie gesehen, wie sich der Stein in Fleisch und Blut verwandelte und Maria vom Sockel herabstieg, um ihr liebevoll über die Stirn zu streichen.
    Visionen, Erscheinungen waren in der Kirche umstritten. Viele glaubten, es handle sich um reine Einbildung, Auswüchse der Phantasie eines gestörten Menschen – eine psychologische Lösung für ein tief verwurzeltes persönliches Problem. Die Kirche war seit jeher bemüht, solche Dinge in aller Stille zu klären – und das hatte Bernie getan. Sie hatte ihrem Beichtvater davon erzählt, und anschließend war eine Untersuchung eingeleitet worden. Es dauerte nicht lange, bis Gerüchte über die Blaue Grotte in Umlauf waren. Man flüsterte sich hinter vorgehaltener Hand zu, Bernie sei auserwählt. Doch dann war sie mit Tom nach Irland geflogen, hatte die Klippen von Moher besucht, und damit hatte sich alles geändert.
    »Ich habe Eleanor Marie einweihen müssen, weil sie die Novizenmeisterin war«, sagte Bernie.
    »Du hast richtig gehandelt«, bestätigte Anne-Marie.
    »Und sie sagte, meine Vision bedeute, ich sei zur Ordensfrau berufen. Sie war so beharrlich.« Bernies Hand glitt zu ihrem Bauch; sie erinnerte sich daran, wie es sich angefühlt hatte, ihren Sohn unter dem Herzen zu tragen. »Die Sache ist die, dass ich mir damals keinesfalls sicher war. Ich wusste nicht, was ich tun sollte.«
    »Du hast eine gute Wahl getroffen. Du leitest eine Schule und einen Konvent, hast den Geist vieler junger Mädchen geformt, ihnen eine wunderbare Ausbildung zuteilwerden lassen.«
    »Und was ist mit dem Jungen, mit meinem Jungen?«
    Schwester Anne-Marie beugte sich vor und ergriff Bernies Hand. »Du musst darauf vertrauen, dass es ihm gutgegangen ist, dass er von Liebe und Fürsorge umgeben war.«
    Bernie nickte. Sie wollte es so gerne glauben.
    »Bernie.« Anne-Marie musterte Bernies Straßenkleidung. »Ich muss dich das fragen. Was hat das zu bedeuten?«
    Bernie betrachtete die Jeans und den dicken weißen Pullover. Die Schranktür stand einen Spaltbreit offen, der schwarze Habit hing auf einem Bügel. Der Orden war sehr großzügig, was die Kleidung während der persönlichen Auszeiten betraf. Bernie hatte oft inkognito an kurzen Gebetswochenenden

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