Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Frage des Herzens

Eine Frage des Herzens

Titel: Eine Frage des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
Vom Netzwerk:
dabei vorzugehen hatte.
    »Sie sind ein guter Fahrer, junger Mann.«
    »Danke, Sir.« Seamus glühte vor Stolz.
    Das Paar auf dem Rücksitz würde nie wissen – genauso wenig wie seine anderen Fahrgäste –, wie viel ihm dieses Lob bedeutete. Er betrachtete die Worte als Ermutigung, und in mancher, ja, sogar in vieler Hinsicht hatte er das Gefühl, von den Schwestern des Ordens Notre Dame des Victoires eine Menge gelernt zu haben, genau wie von Fahrgästen, die im gleichen Alter wie seine Eltern waren und die er im Auftrag des Greencastle in Dublin in einem silbernen Mercedes herumkutschierte. Es war wichtig für ihn zu wissen, wie er handeln, wie er
sein
sollte – für Kathleen.
     
    Als es vorbei war und Kathleen wieder in ihrem Bett lag, versuchte sie mit einer Erinnerung an James ihre innere Ruhe wiederzufinden. Sie waren fast dreizehn. Es war Winter, Weihnachten nahte. Alle hatten mitgeholfen, das Heim mit Kiefernzweigen, roten Bändern und mehreren Kartons Christbaumschmuck, die einer ihrer Wohltäter gestiftet hatte, festlich herzurichten. Freudige Erwartung lag in der Luft.
    James war eine Forschernatur, und es hatte ihm Spaß gemacht, auf den Dachboden von St. Augustine’s zu klettern und die Lagerräume zu erkunden, sogar das unheimliche Kellergeschoss. Als Kinder hatten sie dort viele Abenteuer erlebt und getan, als wären sie Spione oder Schatzsucher.
    In jenem Jahr hatte sich James einen Zugang zum wärmsten Teil von St. Augustine’s verschafft, einen Raum in der Nähe des Heizungskellers, in dem der Brennofen stand. Er hatte sie die Treppe hinuntergeführt. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen wegen der üblichen Ängste, die sie bei solchen Forschungsaktivitäten überkamen – Angst, gegen ein Spinnennetz zu stoßen, eine Maus aufzuscheuchen oder von den Nonnen erwischt zu werden. Doch dieses Mal klopfte ihr Herz auf andere Weise.
    »Wohin gehen wir?«, hatte sie geflüstert.
    »In ein verwunschenes Reich«, hatte er zurückgeflüstert.
    Solche Worte waren aus James’ Mund weder ungewohnt noch überraschend, doch sein Blick und die Art, ihre Hand zu halten, waren neu. Sie hatte ein flaues Gefühl im Magen, als sie sich durch den dunklen Korridor tasteten, während die Heizungsrohre an der Decke von der Hitze klirrten, die durch sie hindurchströmte, und James sich an sie presste, als er sie immer tiefer in das Labyrinth des Kellergeschosses führte.
    Dort unten gab es kaum Licht – sie hatten keine Taschenlampen mitgenommen, und James wollte es nicht riskieren, die fluoreszierende Deckenbeleuchtung einzuschalten. Sie hielten sich an den Händen, und jeder Schritt hatte zur Folge, dass sie noch enger zusammenrückten. Sie hatte seinen warmen Atem an ihrem Hals gespürt, und ihr Körper prickelte von Kopf bis Fuß.
    Als sie den letzten Raum erreichten, stemmte James mit dem ganzen Gewicht seines Körpers die schwere Tür auf. Der Brennofen röhrte in der Ecke. Im Innern züngelte eine kleine Flamme empor und tauchte den Raum in ein warmes orangefarbenes Licht. James führte sie auf die andere Seite hinüber, hinter den Brennofen. Es roch nach Schimmel, Heizöl und Staub. Sie merkte es kaum. Sie blickte in James’ Augen.
    »Ist das hier das verwunschene Reich?«, fragte sie.
    »Richtig.«
    »Ich dachte, wir sind hier, um ein Abenteuer zu erleben.«
    »Das werden wir.«
    »Sind wir nicht inzwischen zu alt für Abenteuer?«
    Er schüttelte den Kopf, und seine blauen Augen glänzten im Feuerschein. »Keineswegs.«
    Sie erschauerte, als käme von irgendwoher kühle Zugluft. Doch in jenem Raum im Kellergeschoss konnte von Kühle keine Rede sein. Ihr war glühend heiß, vom Brennofen und ihren Gefühlen, sie sich in Aufruhr befanden. James sah ihr in die Augen und küsste sie zart auf den Mund. Das hatten sie schon ein- oder zweimal vorher gemacht – es reichte aus, um den Unterschied zu den unschuldigen Kleinkinderküssen von früher zu spüren.
    James’ Kuss war sanft und zögernd, aber die Berührung seiner Lippen und Zunge löste in ihr das Gefühl aus, gleich zu explodieren. Sie hatte die Arme um ihn geschlungen, und ihr Herz pochte so stark, dass es beinahe schmerzte.
    Er holte ein paar alte Decken und Kissen aus einem Regal – die benutzt wurden, um Möbelstücke einzuhüllen und zu verschieben, ebenfalls ein Geschenk von ihren wohlhabenden Gönnern – und breitete sie auf dem Zementfußboden aus. Die Reinigungsmannschaft bewahrte hier Besen und Mopps auf, die James nun beiseiteschob.

Weitere Kostenlose Bücher