Eine Frage des Herzens
Connemara nach Dublin kam. Er war Dichter und sie Bühnenautorin. Sie waren nett. Und sie erkannten sofort die enge Bindung zwischen Thomas – ich meine Seamus – und Kathleen. Sie hatten ein großes Herz und genug Phantasie, um sich vorzustellen, wie nahe sich die Kinder standen. Sie wollten beide adoptieren, ihnen ermöglichen, zusammenzubleiben.«
»Warum wurde nichts daraus?«
»Weil Schwester Eleanor Marie eingriff.«
»Aber warum? Aus welchem Grund? Ich dachte, Seamus sei nur deshalb nicht adoptiert worden, weil er sich weigerte, Kathleen zu verlassen.«
»Er hat nie etwas von diesem Paar erfahren. Es kam gar nicht erst zum Gespräch. Als Schwester Catherine Laboure, Schwester Anastasias Generaloberin, von der geplanten Adoption hörte, war sie überglücklich und setzte sich sofort mit Schwester Eleanor Marie in Verbindung. Und Schwester Eleanor Marie …«
»Wie reagierte sie?«
»Sie wies mich an, den Leuten auf den Zahn zu fühlen. Ich rief im Kirchensprengel des Paares in Westport an. Der Pfarrer erzählte, der Mann habe vor ein paar Jahren ein Alkoholproblem gehabt, aber er schien es überwunden zu haben. Die Frau war verwitwet und hatte ein Kind aus erster Ehe. Und bei diesem Kind hatte man Verhaltensauffälligkeiten in der Schule festgestellt.«
»Und Schwester Eleanor Marie verwendete diese Informationen gegen sie?«
»Ja, alle, das Problem mit dem Alkohol, mit dem älteren Kind … Sie legte Schwester Catherine dar, wie schwierig die Situation werden könnte, wenn sie nicht nur ein Kind, sondern gleich zwei aufnehmen würden. Das sei in ihren Augen für alle Beteiligten in dieser speziellen Familie eine zu große Belastung …«
»War das wirklich ihre Überzeugung?«
Schwester Theodore zögerte und schürzte die Lippen. Dann schüttelte sie den Kopf. »Nein. Ich wünschte, es wäre so, aber ehrlich gesagt, ich glaube nicht.«
»Warum erzählen Sie mir das alles?«
»Weil Sie nach Irland gekommen sind, um Antworten zu erhalten.« Schwester Theodore verstummte.
»Sie haben Schwester Eleanor Marie jahrelang geholfen, die Wahrheit zu vertuschen.« Bernie erhob sich und ging um die Bank herum, den Blick unentwegt auf Schwester Theodore gerichtet. »Tom Kelly und ich mussten uns gewaltsam Zutritt zu ihrem Büro verschaffen, um an die Unterlagen unseres Sohnes zu kommen. Sie hat sich große Mühe gegeben, den Fall unter Verschluss zu halten, und Sie haben sie dabei auf Schritt und Tritt unterstützt.«
»Ich weiß. Ich habe sie gedeckt.«
»Wenn es wirklich stimmt, was Sie mir erzählt haben, dann ist sie die Boshaftigkeit in Person. Ich wollte es bisher nicht glauben. Ich weiß, dass sie eine schwere Kindheit hatte, aber so zu handeln …«
»Sie ist krank«, warf Schwester Theodore ein. »Davon bin ich fest überzeugt, Schwester. Nicht boshaft. Sie wissen, was mit ihrer Mutter los war? Sie pflegte Männer mit nach Hause zu bringen. Die kleine Eleanor hörte sie Nacht für Nacht. Auf dem Weg ins Bad musste sie am Zimmer ihrer Mutter vorüber und sah, was sich dort abspielte. Als sie dreizehn war, kam einer der Männer an ihr Bett, tat ihr Gewalt an; ein Wunder, dass sie nicht schwanger wurde.«
»Schwester, es tut mir leid, was Eleanor in ihrer Kindheit durchmachen musste. Doch sie hat die Chance meines Sohnes, zusammen mit Kathleen in einer liebevollen Familie aufgenommen zu werden, zunichte gemacht, sie hat sein Glück zerstört.«
Die ältere Nonne senkte den Kopf. Tränen liefen über ihre schwammigen Wangen.
»Sie ist neidisch. Weil es schien, als hätten Sie alles, was man sich nur wünschen kann. Die Berufung … nicht nur im Herzen, sondern durch Maria. Und ein Kind. Eleanor Marie fühlt sich von aller Welt, von Maria, von Gott verlassen. Sie haben sich Ihre Sünden verziehen – ihr gelingt es nicht, sich selbst zu vergeben.«
»Was für Sünden? Sie war damals doch noch ein Kind!«
»Wie ich bereits sagte, sie ist krank. Ihr Verstand ist durch die traumatischen Erfahrungen getrübt. Als gläubige Katholikinnen haben wir es besonders schwer. Sobald Sex ins Spiel kommt, lassen die Schuldgefühle nicht lange auf sich warten. In diesem Bereich haben wir noch einen weiten Weg vor uns.«
Amen, hätte Bernie gerne gesagt, überrascht, dass Schwester Theodore einen so fortschrittlichen Standpunkt vertrat.
»Dass Sie in Amerika zur Äbtissin unserer dortigen Ordensgemeinschaft ernannt wurden, war für Eleanor Marie zu viel. Sehen Sie nicht, wie gestört sie ist? Bitte, Sie
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