Eine Frage des Herzens
Platz zu nehmen, besorgt wegen der Blässe und des Schweißfilms auf Gesicht und Hals.
Bernie atmete tief durch und riss sich zusammen. Sie war innerlich wie versteinert. Sie machte ihre Stellung als Äbtissin, als Vorgesetzte geltend und musterte Schwester Theodore mit dem kältesten Blick, den sie zustande brachte. Wenn sie im Star of the Sea Probleme in Angriff nehmen musste, pflegte sie hochaufgerichtet dazusitzen, die Hände im Schoß gefaltet, und darauf zu warten, dass ihre Mitschwester zu reden begann, damit sie wusste, worum es ging. Doch Schwester Theodores Gesundheit bereitete ihr Kopfzerbrechen.
»Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte sie.
»Bitte machen Sie sich meinetwegen keine Sorgen«, sagte Schwester Theodore.
Doch Bernie war besorgt und reichte ihr ein Taschentuch. Schwester Theodore nahm es dankbar an, trocknete sich damit das Gesicht, zerknüllte es nervös in der Hand und versuchte zu Atem zu kommen.
»Warum wollten Sie mich sehen?«, fragte Bernie, nachdem sich Schwester Theodore beruhigt hatte.
»Um Ihnen etwas zu sagen. Der Vorschlag, uns hier zu treffen, war klug. Das ist genau der richtige Ort für dieses Gespräch.«
»Was soll das heißen?«
»Hier in St. Augustine’s ist Thomas aufgewachsen …«
»Er nennt sich jetzt Seamus. Offensichtlich möchte er nicht an den Namen erinnert werden, den sein Vater und ich ihm gegeben haben.«
»Schwester, ich muss Ihnen etwas beichten.«
»Ich bin kein Priester. Sie sollten zur Beichte gehen, wenn Sie Vergebung erlangen wollen.«
»Sie sind der einzige Mensch, der mir vergeben kann.« Schwester Theodore ergriff Bernies Hand. Bernie zuckte bei der Berührung zusammen, zwang sich aber stillzuhalten.
»Schauen Sie sich um«, erwiderte Bernie ruhig. »Bitte, Schwester Theodore. Der zerbrochene Asphalt, das Unkraut, das überall wächst, die Kinder, sie haben einen ungezügelten Blick, finden Sie nicht? Ich habe sie beobachtet und überlegt, wie sie sich fühlen müssen. Verlassen von Gott und der Welt.«
»Ich weiß, Schwester.«
»Die Entscheidung, die ich treffen musste, war grausam. Ich wollte meinen Sohn nicht aufgeben. Doch gleichzeitig fühlte ich mich zum Eintritt ins Kloster berufen. Der Zwiespalt, in dem ich mich befand, war eine Tortur, so dramatisch es auch klingen mag. Ich hatte mich nach einem Leben des Gebets und der Kontemplation gesehnt. Doch dann unterlief mir ein, wie ich glaubte, schrecklicher Fehler. Ich wurde schwanger.«
»Das passiert vielen Mädchen«, flüsterte Schwester Theodore. »Und viele Babys kommen hierher in das Kinderheim von St. Augustine’s. Sie werden in ein wundervolles neues Zuhause vermittelt.«
»Mein Kind nicht.«
»Nein.« Schwester Theodore schüttelte den Kopf. Ihr Atem ging schwer und pfeifend. Ihre Augen schwammen in Tränen, offenbar von Gefühlen überwältigt.
»Hatten Sie deshalb das Bedürfnis, mich zu treffen? Um mir etwas darüber zu erzählen?«
Schwester Theodore nickte.
»Bitte, Schwester, worum geht es?«
»Thomas, Ihr Sohn. Er war der netteste, sanfteste Junge, den ich kenne. Ich kam oft her, um nach ihm zu schauen. Schwester Eleanor Marie bat mich darum, um sicherzugehen, dass er zurechtkam. Ich dachte, es läge daran, dass Sie eine von uns waren, eine Ordensfrau … und obendrein keine gewöhnliche. Eine Auserwählte, der die Jungfrau Maria erschienen war. Ich dachte, dass Ihrem Sohn aus diesem Grund eine Sonderbehandlung zuteil würde.«
»Doch das war nicht so?«
Schwester Theodore schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Bitte reden Sie weiter, Schwester …«
»Da war ein junges Mädchen. Ihr Sohn und sie waren unzertrennlich. Ein erfreulicher Anblick, die beiden. Ich kam oft her, saß auf dieser Bank …« Ihr Blick schweifte über den Spielplatz, und Bernie erschauerte, als sie sich ausmalte, wie Kathleen und ihr Sohn hier gespielt hatten.
»Hieß das Mädchen Kathleen?«
»Ja, Kathleen Murphy.« Schwester Theodore war offensichtlich verwirrt, dass Bernie von dem Mädchen wusste.
»Schwester Anastasia hat uns von ihr erzählt«, erklärte Bernie. »Sie sagte, Seamus und Kathleen hätten alles getan, um zusammenzubleiben, sogar Adoptionsversuche torpediert.«
»Nicht jeden Versuch«, erwiderte Schwester Theodore leise.
»Was soll das heißen?«
»Es gab da eine Familie, die sie beide adoptieren wollte – damit sie zusammenbleiben konnten.«
»Wie bitte?« Bernie war, als hätte sie einen Schlag in die Magengrube erhalten.
»Ein Ehepaar, das aus
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