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Eine Frage des Herzens

Eine Frage des Herzens

Titel: Eine Frage des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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aus Backstein vorbei, in dem sie während der letzten Woche gewohnt hatte. Sie kniff die Augen zusammen und hielt nach dem Merrion Square im Südosten von Dublin und dem Konvent Ausschau. Sie erhaschte einen Blick auf ein Hausdach, das möglicherweise zu O’Malley’s Pub gehörte – Tir na Nog …
    »Wo ist er?«, flüsterte sie.
    »Wie bitte?«
    »Zeig es mir.« Sie wandte sich Tom zu. »Bevor wir auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Wo wohnt er? Ich möchte mir ein Bild machen, auf der Straßenkarte nachsehen können.«
    »Ich kann nicht«, erwiderte Tom. Vielleicht meinte er, weil sein Auge zugeschwollen war, vielleicht aber auch aus einem anderen Grund.
    Wie auch immer, Bernies Augen füllten sich mit Tränen. Sie blickte auf Dublin hinab, als das Flugzeug nach Westen abdrehte und Irland überquerte, auf dem Weg nach Amerika. Sie ließ ihren Sohn zurück, genau wie damals.
    Die Erkenntnis rief ein Gefühl der Kälte hervor, und sie zitterte. Worüber hatten Tom und er geredet?
    »Glaubst du, dass er jemals nach Amerika kommen wird?«, flüsterte sie. »Um Kathleen zu suchen?«
    »Da bin ich ziemlich sicher.«
    »Hat er das gesagt?«
    »Das war nicht nötig. Er hat gar keine andere Wahl. Er liebt sie mehr als alles in der Welt.«
    Bernie presste abermals ihr Gesicht ans Fenster. Dublin entschwand ihrer Sicht, die flackernden Lichter der Stadt blieben zurück, als das Flugzeug immer höher stieg, eine Wolkenschicht nach der anderen durchdrang. Bernie warf einen Blick auf ihren Habit. Sie hatte ihn abgelegt und wieder angelegt. Sie machte sich keine Illusionen über die Wirkung, die ihre Unschlüssigkeit auf Tom haben musste. Sie hätte ihm gerne gestanden, dass die Entscheidung, ihn wieder zu tragen, zu den schwersten in ihrem Leben gehört hatte, aber sie brachte es nicht über sich.
    »Tom.« Sie wandte sich ihm zu und sah ihn an. Er hatte die Sitzlehne nach hinten gekippt und drückte den Eisbeutel auf das verletzte Auge. So wie er dasaß, konnte er sie nicht sehen, und darüber war sie froh. Sie streckte die Hand aus, um sein Gesicht zu berühren. In diesem Augenblick nahm er den Eisbeutel herunter, und sie zog ihre Hand zurück.
    »Ich muss dir etwas sagen«, erklärte er.
    »Ja?«
    »Ich habe schon eine Weile darüber nachgedacht.«
    »Manchmal braucht man Zeit, um Klarheit über seine Gedanken zu gewinnen.«
    »Das kann nur eine Nonne sagen.« Er warf ihr ein belustigtes Lächeln zu.
    Sie erwiderte es, erleichtert, dass Tom Kelly wieder zu Scherzen aufgelegt war. Doch das Lächeln wich ebenso schnell, wie es gekommen war.
    »Ich verlasse die Academy.«
    Einen Moment lang war sie verwirrt, glaubte, sich verhört zu haben. »Verlassen?«
    »Ja. Ich verlasse Star of the Sea.«
    »Aber Tom.« Sie war einer Panik nahe. »Das ist dein Zuhause … Du lebst dort … Wir brauchen dich.«
    »Ich bin nur der Verwalter. Davon gibt es viele.«
    »Aber du kennst dich dort aus. Du kennst uns.« Sie schluckte. »Tom, du kennst
mich.
«
    Er schüttelte den Kopf, und eine Träne entschlüpfte seinem verletzten geschwollenen Auge. Es dauerte geraume Zeit, bis er sprechen konnte, und als es ihm endlich gelang, vermochte sie ihn kaum zu verstehen.
    »Das dachte ich auch«, flüsterte er, ohne sie anzusehen. »Und ich hätte es mir gewünscht, mehr denn je. Aber dem ist nicht so, Schwester Bernadette Ignatius. Und daran wird sich nie etwas ändern.«
    »Tom, sag so was nicht«, erwiderte sie flehentlich. »Ich weiß, dass du außer dir bist, aber du wirst deine Meinung ändern.«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich bin müde. Lass mich schlafen, ja?«
    Sie konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Sie nahm das kleine Kissen, das sie neben ihre Hüfte geklemmt hatte, und schob es ihm unter den Kopf. Er ließ es einen Moment dort liegen, doch vielleicht war es unbequem oder er wollte nichts berühren, was an sie erinnerte – er zog es vorsichtig heraus und verstaute es in der Tasche des Sitzes vor ihm.
    Die Maschine flog nach Westen, der Dunkelheit voraus, brachte die Nacht mit sich, zog die Schwärze, die Wolken und Millionen Sterne hinter sich her, auch diejenigen, die Bernie nach Tom und ihrem Sohn benannt hatte, am Firmament von Irland, über den Klippen von Moher, die hoch über dem offenen Meer aufragten. Der Blick aus dem Fenster eines Flugzeugs hatte sie immer fasziniert, doch heute zog sie das Plastikrollo herunter, schloss die Sterne und malerischen Klippen aus, mit denen alles angefangen hatte.
    Sie betete für Seamus

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