Eine Frage des Herzens
und Kathleen, für Tom und sich selbst – vier Menschenleben, die nach Toms Ansicht zerstört waren. Sie hatte ihm nicht geglaubt, als er zum ersten Mal davon sprach, doch nun tat sie es, als sie nach Hause flogen, von Irland über den Atlantik, durch eine Nacht ohne Sterne.
[home]
TEIL III
17
W as für ein Mensch ist Seamus, Tante Bernie?«, fragte Agnes.
»Kommt er bald nach Connecticut?«, erkundigte sich Cece.
»Hast du Fotos von ihm?«, wollte Regis wissen und hatte hinzugefügt: »Was ist denn mit deinem Auge passiert, Onkel Tom?«
»Ich bin gegen eine Tür gelaufen«, hatte er erwidert. Die ganze Familie bedauerte ihn lautstark, außer John, der auf der anderen Seite des Tisches saß und ihn schweigend, mit schwindendem Mitleid ansah, weil ihm keine bessere Ausrede eingefallen war.
Die Familie hatte sich im Haus der Sullivans eingefunden, an der Strandseite des Campus von Star of the Sea, um Bernie und Tom nach ihrer Irlandreise willkommen zu heißen. Sie waren auf dem Logan Airport in Boston gelandet und in Toms Transporter, den sie in der Langzeit-Parkgarage abgestellt hatten, nach Black Hall gefahren. Sein Auge wies immer noch eine schwarzblaue Verfärbung auf, aber die Schwellung war zurückgegangen.
Honor hatte das Abendessen zubereitet und John zur Feier des Tages eine gute Flasche Wein geöffnet. Regis war mit dem Zug aus Boston gekommen, obwohl sie ihr Studium am dortigen College erst vor eineinhalb Wochen wiederaufgenommen hatte. Cece hörte mit großen Augen zu, begierig, jede Einzelheit über Seamus zu erfahren. Agnes hatte neben Brendan McCarthy, ihrem Freund, Platz genommen. Und Schwester Bernadette saß zwischen Honor und Tom, zitternd und zerbrechlich. Doch außer Honor und ihm schien es niemand zu bemerken.
»Erzähl uns von ihm«, forderte Regis ihn auf.
»Wir sterben vor Neugierde«, sagte Cece.
»Mädchen«, mahnte Honor sanft, »lasst eure Tante und Tom doch erst mal zur Ruhe kommen. Sie müssen völlig erledigt sein nach dieser Reise.« Sie blickte Bernie mitfühlend an, und Tom wurde klar, dass sie einen Teil der Geschichte kannte. Aber ihre Töchter würden nicht nachgeben, es lag in ihrer Natur, Familienangehörige mit bedingungsloser Liebe und Begeisterung zu überschütten. Sie konnten es kaum erwarten, mehr zu erfahren, und rutschten auf den Stühlen hin und her.
»Er ist groß«, erklärte Bernie, sichtlich mitgenommen. »Und sieht phantastisch aus.«
»Phantastisch, aha!«, meinte Regis grinsend.
»Er hat rote Haare, genau wie Bernie«, sagte Tom.
»Und strahlend blaue Augen wie Tom«, fügte Bernie hinzu.
Ihre Worte versetzten ihm einen Stich. Er spürte, dass ihre Augen auf ihm ruhten, aber er wagte nicht, sie anzuschauen. In seinem Inneren war ein Damm gebrochen, seine Gefühle glichen einem reißenden Strom, und selbst ein flüchtiger Blick hätte sie vielleicht mitgerissen – auf den Strand, aufs Meer hinaus.
»Was macht er beruflich?«, erkundigte sich Agnes.
»Er ist Fahrer«, antwortete Bernie. »Für das Greencastle Hotel. Er möchte aber Jura studieren.«
»Das klingt ganz nach Kelly-Clan«, sagte Regis lachend. »Das heißt, Tom ausgenommen.«
»Leute, die das Land bestellen, sind genauso wichtig wie Rechtsanwälte«, meinte Brendan.
Tom lächelte ihm dankbar zu. Brendan hatte Ähnlichkeit mit Seamus, was die roten Haare, die Sommersprossen und die blauen Augen betraf. Die Art, wie er sich bewegte und lachte, die Veränderungen in seinem Ton, der verletzte Blick, den er zu verbergen trachtete, erinnerten ihn an Seamus – doch Seamus war in St. Augustine’s aufgewachsen und Brendan von einem Paar in Connecticut adoptiert worden.
Die Begegnung mit Brendan im August war der Katalysator, der Tom und Bernie zur Reise nach Dublin und zur Suche nach ihrem Sohn bewogen hatte. Bei seinem Anblick verkrampfte sich Toms Magen. Er hatte Brendan einen Job in der Gartenbaumannschaft versprochen, zusätzlich zu seiner Tätigkeit im Krankenhaus, um Geld für das Medizinstudium zu sparen. Doch er hatte während des Heimflugs noch eine weitere Ankündigung gemacht, und sich daran zu halten würde die Trennung von Star of the Sea mit sich bringen.
»Hat Seamus eigentlich eine Freundin?«, fragte Agnes, die Hand in Hand neben Brendan saß.
Diese Frage beantwortete Tom bereitwillig. »Da gibt es ein Mädchen, das er liebt, Kathleen Murphy.«
»Oh, Kathleen«, sagte Regis.
»Wohnt sie in Dublin?«, wollte Agnes wissen.
»In Newport, Rhode
Weitere Kostenlose Bücher