Eine Frage des Herzens
Island.«
»Sie ist Amerikanerin? Toll!«, rief Regis aus. »Dann kommt er von Irland herüber, um sie zu besuchen, und wir laden die beiden hierher ein und lernen sie kennen.«
»Tom, stimmt etwas nicht?«, fragte Brendan.
Tom schüttelte beschwichtigend den Kopf, wie er es bei seinem eigenen Sohn getan hätte. Brendan war immer sehr bemüht, aber auch ein wenig unsicher. Er war zutiefst enttäuscht gewesen, als sich herausstellte, dass er nicht Bernies und Toms Sohn war – ihr Kind war zwar im gleichen Alter, jedoch in Irland geboren. Er hatte noch nicht richtig begriffen, dass ihm Bernie dennoch zur Seite stand. Sie liebte ihn und war entschlossen, ihm bei der Suche nach seinen leiblichen Eltern zu helfen. Das hatte Tom ebenfalls beabsichtigt …
»Keine Sorge, es ist alles bestens«, erwiderte Tom.
»Ich hatte während Ihrer Abwesenheit meinen ersten Arbeitstag«, sagte Brendan. »Meine neuen Kollegen sind sehr nett.«
»Das freut mich«, meinte Tom.
»Und dank Tom auch erstklassig ausgebildet.« Bernie sah Tom mit einem zögernden, hoffnungsvollen Blick an. »Er hat eine ganz besondere Art, die hier anfallenden Arbeiten zu erledigen.«
»Die Kellys und die Sullivans toben sich im Star of the Sea so richtig aus.« John klopfte Tom anerkennend auf die Schulter. »Das hat seit langem Tradition.«
»Ja, hatte es«, erklärte Tom.
Alle horchten auf und sahen ihn an. Sie hatten die Vergangenheitsform bemerkt. Tom spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg. Bernies Lächeln wurde unsicher und erstarb. John schloss daraus, dass Tom dringend Hilfe benötigte. Er war Bernies Bruder, aber auch Toms bester Freund.
»Ach Tom, könntest du mal kurz mit nach draußen kommen?« John erhob sich. »Ich habe festgestellt, dass ein paar Rohre undicht sind. Ich würde sie dir gerne zeigen, bevor ich es vergesse.«
Sie traten zur Küchentür hinaus, während alle anderen ihnen verwundert nachblickten. Es dunkelte bereits. Das Dämmerlicht verlieh der Silhouette der Hügel kraftvolle Konturen, und die ersten Sterne gingen auf. Tom atmete tief die salzhaltige Luft ein und versuchte sich zu beruhigen. John lotste ihn vom Haus weg, die erste Anhöhe hinauf, in Richtung der alten Steinmauer.
»Hier oben gibt es keine undichten Rohre«, erklärte Tom.
»Ich weiß.« John blieb auf dem Kamm des Hügels stehen. Sie lehnten sich an die Mauer und blickten auf den Strand hinunter, wo die Gischt aufschäumte und, weißer Spitze gleich, vom Wind verweht wurde. »Wie Brendan bereits sagte, stimmt etwas nicht?«
»Ich weiß nicht.« Tom starrte aufs Meer hinaus. Im Osten, auf der anderen Seite des Sunds, ungefähr sieben Meilen entfernt, sah er die Lichter des Leuchtturms von Orient Point auf der North Fork blinken, einer Halbinsel, die der nordöstlichen Spitze von Long Island vorgelagert war. Danach kam South Fork und angrenzend der Atlantische Ozean. Und dahinter befanden sich Irland und Seamus. »Ich habe meinen Sohn kennengelernt.«
»Ich weiß. Mann, das freut mich für dich.«
»Er wollte nichts mit uns zu tun haben.«
»Das tut mir leid.«
Tom zuckte mit den Schultern. »Ich kann es ihm nicht verdenken. Die Vorstellung, mit der wir all die Jahre gelebt haben, dass er in einer liebevollen irischen Familie aufwachsen durfte, hat sich als Trugbild erwiesen.«
»Was soll das heißen?«
»Er hat seine ganze Kindheit in einem Heim verbracht.«
John starrte ihn fassungslos an. Tom spürte, wie ihn bei diesen Worten der Kummer übermannte.
»Wie konnte das geschehen?«
»Ich weiß es nicht. Eine Verkettung unglücklicher Umstände – eine fehlgeleitete Nonne und ein starrköpfiger Junge, ob du es glaubst oder nicht. Die Nonne war Bernies Novizenmeisterin, als sie in den Orden eintrat. Der starrköpfige Junge …«
»Lass mich raten. Dein Sprössling.«
»Ich habe es nicht verdient, ihn so zu nennen.«
Die Sommerluft war kühl, der Herbst begann. Die Konstellationen, die im August am Himmel zu sehen waren, hatten den im September vorherrschenden Platz gemacht, und die Sterne standen tief am dunkelblauen Firmament. Fledermäuse flogen über den Weinberg, auf der Jagd nach den letzten Käfern. Bald würde sich alles verändern. Die Temperaturen würden stetig fallen. Enten und Streifenbarsche würden nach Süden ziehen, auf ihrer Route durch Luft und Meer. Die Weinlese stand bevor und das Absterben der Rebstöcke.
»Was hat dein starrköpfiger Sohn gemacht?«, fragte John.
»Er hat sich verliebt«, erwiderte Tom
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