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Eine Frage des Herzens

Eine Frage des Herzens

Titel: Eine Frage des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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sah Tom an, hochgewachsen, schlank und auf dem Mittelsitz eingequetscht.
    »Möchtest du den Platz tauschen?«, fragte sie.
    »Du schaust doch gerne aus dem Fenster«, antwortete er.
    Sie nickte dankbar. Während sie darauf warteten, dass die Maschine vom Flugsteig zurückrollte, beobachtete sie Tanklaster, Gepäckwagen, Transporter mit Bordverpflegung und Reinigungsmannschaften. Auf dem Vorfeld herrschte rege Geschäftigkeit, die Leute gingen ihrer Arbeit nach. Sie presste die Stirn gegen das kühle Glas. In wenigen Minuten würden sie starten. Sie würde auf Dublin hinunterschauen, wie vor einer Woche bei ihrer Ankunft.
    Jetzt ist alles anders, dachte sie. Sowohl besser als auch schlechter.
    »Sagtest du, du fragst dich, warum wir hergekommen sind?«
    »Ja.«
    »Um unseren Sohn zu suchen. Und wir haben ihn gefunden.«
    »Das ist nur zum Teil richtig.«
    »Abschied nehmen ist unsäglich schwer. Das hätte ich nicht gedacht.«
    Er hörte zu, die Lippen geschürzt, und sah mit seinem unverletzten Auge zum Fenster hinaus. Das andere Auge war beinahe zugeschwollen und feuerrot.
    »Das liegt daran, dass du abgeschottet hinter Klostermauern lebst.«
    »Was soll das heißen?«
    »Du willst doch gar nicht wissen, was in dieser Welt vor sich geht.«
    »Doch, Tom. Sag es mir.«
    »Du hast dir damals ein Leben gewünscht, das Gebet und Meditation gewidmet ist, oder? Nun, genau das hast du bekommen. Du und der Heilige Geist. Der Rest der Menschheit, der hier auf der Erde lebt, muss sich durchkämpfen, Bernie. Dass du nicht geahnt hast, wie schwer dir der Abschied fallen könnte, liegt daran, dass du immer in der Lage warst, die Menschen, die du liebst, Gottes Schutz anzuvertrauen.«
    Sie hörte schweigend zu, wissend, dass er recht hatte.
    »Wir gemeinen Sterblichen haben dieses Privileg nicht. Wir sind aus Fleisch und Blut, für uns heißt es, fressen oder gefressen werden. Für mich bedeutet lieben jemanden stützen, hegen und halten, wenn er sich fürchtet. Gott mag dort oben sein«, er legte den Kopf in den Nacken und deutete zur Decke, »im Himmel, aber ich bin in der Erde verwurzelt.«
    »Das sind wir alle.« Ein Ruck ging durch die Maschine, dann begann sie rückwärts zu rollen. Eine Drehung, und sie fädelte sich langsam und holpernd in den Flugverkehr ein, der auf die Starterlaubnis wartete. »Wir sind Menschen wie jeder andere, Tom.«
    »Da irrst du dich.« Er schüttelte den Kopf. Seine Stimme klang bitter, und er sah erschöpft aus.
    »Doch«, erwiderte sie beharrlich.
    »Bernie, weißt du noch, was ich über Eleanor Marie gesagt habe, die Menschenleben zerstört hat?«
    »Kathleens Leben und das unseres Sohnes.«
    Tom sah sie düster an. »Und nicht zu vergessen unser Leben.«
    »Nein«, flüsterte Bernie. »Wir hatten ein gutes Leben …«
    »Rede dir das nur ein. Vielleicht glaubst du es am Ende sogar.«
    »Tom!«
    »Wir waren füreinander bestimmt, Bernadette. Von dem Tag an, als wir uns das erste Mal begegnet sind. Du hattest eine Vision? Ich auch. Zu meiner Vision gehörte ein kleines Cottage mit einem hübschen Garten. Und wir beide, du und ich, und die Kinder, die wir großziehen. Ich habe mir ausgemalt, wie ich das Land der Academy bestelle und du unterrichtest – du wolltest ja schon immer Lehrerin werden.«
    Bernie schloss die Augen. Die Stewardess näherte sich dem rückwärtigen Teil des Flugzeugs. Sie reichte Tom einen Eisbeutel, dann ging sie den Gang entlang und überprüfte rechts und links, ob die Passagiere angeschnallt waren. Tom hatte recht, es war seit jeher ihr Wunsch gewesen, Lehrerin zu werden. Sie hatte ihre Fähigkeiten erstmals bei ihrem jüngeren Bruder John erprobt, ungefähr zu der Zeit, als sie Tom Kelly bei einem Sommerpicknick im Star of the Sea begegnet war.
    Die Flugbegleiter nahmen ihre Plätze ein, der Kapitän begrüßte die Passagiere über Lautsprecher und teilte ihnen mit, dass sie die Starterlaubnis erhalten hatten und als Nächste an der Reihe waren. Bernie bekreuzigte sich. Sie saß mit geschlossenen Augen da. Das Flugzeug rollte die Startbahn entlang, dann beschleunigte es, und sie spürte die Schubkraft im Kreuz. Sie war immer gerne geflogen, doch dieses Mal war ihr Herz schwer.
    Die Maschine hob ab und gewann langsam an Höhe, während sie über die Dublin Bay flogen. Die gerade untergehende Sonne tauchte die Stadt und die umliegenden Felder und Wiesen in ein weiches goldenes Licht. Bernie suchte den Boden nach dem Liffey ab. Da war er, floss an dem Apartmenthaus

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