Eine franzoesische Affaere
Horizont aufstieg. Sid fühlte
sich wie gerädert und schleppte sich ins Badezimmer, um sich unter die Dusche
zu stellen. Den Impuls die getragene Kleidung in den Müll zu werfen, unterdrückte
sie, weil es eine kindische und unnütze Reaktion gewesen wäre. Es machte keinen
Unterschied.
Sie hatte Frühdienst und zog sich wie in Trance an. Die Arbeit würde helfen,
ein paar Stunden tot zu schlagen. Sid deckte die Schatten unter den Augen ab, so
dass sie beinahe normal aussah. Schließlich hatte sie nicht geweint, es war
keine verräterische Röte zu sehen und niemand konnte in ihr blutendes Herz
sehen.
Jedenfalls fiel es keinem der Gäste auf, dass etwas mit ihr nicht stimmte,
solange sie freundlich und effizient blieb. Am Nachmittag kam die Ablösung in
Form von Rhonda und einer anderen Kollegin. Sid wollte ihr lieber aus dem Weg
gehen, doch in Anbetracht ihres auffälligen Verhaltens von gestern, war das
wohl nur ein frommer Wunsch.
Sid tat so, als suche sie etwas in ihrem Spind, während Rhonda an der Tür
lehnte und muntere Fragen stellte.
„…Oh, bitte,
Sid! Sei doch nicht so verschlossen wie eine Auster! Erzähl doch… Denk daran,
ich bin eine arme, gelangweilte Ehefrau mit zwei Kindern! Mir passiert nie so
etwas Aufregendes. Okay… okay… natürlich ist es privat, aber sag wenigstens, ob
er wirklich so ein Traumtyp ist, wie sein Aussehen verspricht.“
Sid schloss
gequält die Augen und zwang sich, ruhig weiter zu atmen.
„Er ist wirklich ein Traummann.“, stimmte sie Rhonda mit tonloser Stimme zu,
drückte die Tür des Spindes zu und zog den Riemen ihrer Handtasche über die
Schulter.
„Oh, mein
Gott, Kindchen! Was ist passiert? Was hat der Schuft dir angetan… Sag nichts,
er ist verheiratet und hat es dir erst gesagt, als er hatte, was er wollte.“,
echauffierte sich ihre Kollegin, als sie ihr nicht mehr ausweichen konnte und
ihr in die Augen sah.
„Nein… Nein!
So war es nicht! Wir waren nur essen… Er hatte keine Zeit mehr… Sein Bruder
brauchte ihn im Geschäft. Ich habe nur schlecht geschlafen.“, widersprach Sid
sofort, weil sie nicht ertragen konnte, dass man schlecht über ihn sprach.
Rhonda
schnalzte leise mit der Zunge und schüttelte mitfühlend den Kopf. Die Frau
dachte sich ihren Teil. Der Typ hatte Sid das Herz gebrochen, das sah doch ein
Blinder. Von wegen Bruder. Wahrscheinlich war ihm während des Essens
aufgegangen, dass eine Kellnerin nicht gut genug für ihn war.
„Geh nach Hause und leg dich ein wenig hin. Du siehst wirklich nicht gut aus.
Nimm es dir nicht so zu Herzen, ja? Es werden noch viele andere nach ihm
kommen. Aussehen allein ist nicht alles.“, versuchte sie, Sid zu trösten,
drückte sie kurz und verließ dann die Umkleide, um ihre Schicht zu beginnen.
Sid wurde
speiübel, doch da sie den Tag über nichts gegessen hatte, passierte nichts
weiter, als dass ihr noch elender wurde, weil sie sich keine Erleichterung
durch die Entleerung ihres Magens verschaffen konnte.
Mit tauben Fingern knöpfte sie den dunkelblauen Sweater zu, den sie zu ihrer
Uniform angezogen hatte, wobei ihre Gedanken damit unweigerlich zu dem Moment
zurückgingen, als sie das mit Malcolms Hemd getan hatte. Sie wusste nicht
einmal, ob ihm der Anblick gefallen hatte, doch darüber nachzudenken war
überflüssig. Aussehen allein war wirklich nicht alles.
Sid verließ den Diner und steuerte die nächste U-Bahnstation an, mit der sie
ins Zentrum fahren wollte. Sie musste sich irgendwie beschäftigen und hatte in
der durchwachten Nacht einen Entschluss gefasst, während sie sich an Gespräche
erinnert hatte, die sie mit ihrem Vater geführt hatte. Wenn sie selbst keinen
Erfolg hatte, dann würde sie einen Detektiv engagieren und wenn das auch zu
keinem Ergebnis führte, dann würde sie zurück nach Paris fliegen.
Es dauerte
Stunden, in denen sie an einem altmodischen Microfiche-Gerät saß und Berichte
der Klatschpresse aus den siebziger Jahren durchging. Ihr Vater hatte ihr
einmal in einem Streitgespräch an den Kopf geworfen, dass er genau wüsste, wie
dekadent der Jetset lebte, da er selbst ein Teil davon gewesen war, wenn auch
nur kurze Zeit und in einem anderen Land. Er kannte das berühmte „Studio 54“
noch aus eigener Erfahrung. Bild für Bild huschte an Sid vorbei und dann sog
sie scharf die Luft ein.
DA! Das
war das Gesicht ihres Vaters, der es halb von der Kamera abgewandt hatte!
Sid stellte das Bild mit zitternden Fingern fest und las die Bildunterschrift
mit fliegenden Augen,
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