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Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Titel: Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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ihn reizen, ärgern wollte. Erst jetzt bemerkte ich, daß das Mädchen in anderen Umständen war. Sie trug einen Herrenmantel mit großen Knöpfen und dickem Kragen und hielt sich, als würde ihr Bauch gar nicht zu ihr gehören. Sie mochte im letzten Monat sein.
    »Wie hieß er?« fragte er, auf das Kreuz deutend.
    »Egal«, schüttelte das Mädchen den Kopf. »Er war total verrückt.«
    »Er war nicht verrückt. Wie hieß er?« fragte Baum nochmals.
    »Popačka«, sagte sie. »Er nannte sich Popačka.«
    »Und Sie heißen?«
    »Eva Rajnak.«
    »Wo ist er?« fragte Baum und trat näher. Er beugte sich vor, bis sein Gesicht das Ihre fast berührte. Er betrachtete die aufgesprungenen, geschwollenen Lippen, die schöne, trockene Wunde. Dann starrte ich ihr ins Gesicht. So einen Blick hatte Baum noch nie gesehen. Ich spürte, daß ich sie begehrte. Aber nicht, wie man Huren oder eine Frau begehrt, anders. Nicht daß es für sie und für mich gut sein soll, während ich in ihrem Körper bin, weil sie mich in sich aufgenommen hat oder weil ich sie bezwungen, erobert, in Besitz genommen habe, nicht danach sehnte ich mich. Ich weiß nicht. Gott sitzt mitten in einer Wiese und sieht gedankenverloren zu, wie das Gras wächst, während neben seinen Fingern ein Kind einschlummert und stirbt. Ich weiß nicht. Baum hatte das Gefühl, daß er diesem Mädchen niemals nahekommen würde, egal, was er mit ihr anstellte.
    »Wo ist der Leichnam?« fragte er.
    »Er ist auferstanden.«
    Eva Rajnak schien zu lächeln, ihre Finger flatterten zu ihrem kurzen jungenhaften Haar. Wortlos drehte sie sich um und eilte in das größte Gebäude am Platz, das Wohnhaus und Scheune zugleich war und dessen Erdgeschoß, wie sich später herausstellte, als Kneipe diente, denn nachmittags versammelten sich hier die Siedlungsbewohner und tranken Schnaps und Bier im Stehen, die Betagteren und Kränkeren saßen auf der Altenbank, den Rücken an die Wand gelehnt hielten sie ihre Schnapsgläser, die Jungen aber standen da, als würden sie nur darauf warten, endlich selbst alt zu werden. Hier trat das Mädchen ein, denn hier wohnte es. Hier war sein Zuhause. Ich folgte ihr.
    5.
    Rajnak war der Siedlungsvorsteher, er bestimmte auch über Alkohol, Fleisch, Video und Kartoffeln. Der Vater des Mädchens, ein massiger, schwerfälliger Mann. Baum quartierte sich bei ihm ein. Noch am selben Tag machte ich mich an die Arbeit. Die grobschlächtigen, von gepanschtem Alkohol und der Knechtarbeit abgestumpften Bewohner der Grabsiedlung erwiesen sich als überraschend mitteilsam. Sie schienen sich sogar zu freuen, daß Baum bei ihnen weilte. Ich konnte fragen, was ich wollte, sie antworteten ohne die geringste Verlegenheit. Höchstens, daß sie logen, natürlich. Sie logen oder sie dachten sich etwas aus. Oder sie logen gar nicht, sondern kannten nur nicht die Wahrheit, sie redeten, brummten, fragten zurück, auch egal, glaube ich, egal. Der Grashalm wächst, mehr und mehr, weil er weiß, daß Gott existiert und ihn sieht. Und er wächst nicht weiter, weil er erkannt hat, daß auch das vergeblich ist. Die Leute starrten Baum offen ins Gesicht, der dann das Gefühl hatte, daß es ihnen Vergnügen bereitete, Zeugnis abzulegen. Als ob sie nicht wüßten, daß auch ein Vogel nur ein Diener ist. Flieg nur, deine Schwingen gehören dir. Aber das Sich-in-die-Höhe-Schwingen wird niemals dein sein.
    »Wer war der Gekreuzigte?« fragte Baum.
    »Irgendein Durchreisender«, sagten sie.
    »Ein Tourist?«
    »Nur einer, der sich verirrt hat.«
    »Ich habe nach seinem Namen gefragt.«
    »Popačka«, sagte eine ältere Frau und trat näher zu Baum. Dann spuckte sie ihm ins Gesicht. Es war Frau Hopp, sie hatte keinen Sohn mehr. Und sie hatte auch keinen Mann, kein Haus, sie hatte niemanden. Frau Hopp war vom äußersten Westen des Landes zur Grabsiedlung gekommen. Wegen des Krieges kamen viele von dort.
    »Hat er etwas versprochen?« wandte sich Baum an einen anderen.
    »Er hat gesagt, er verhilft uns zu einem Bund mit der Erde, auf der wir stehen«, antwortete ein Mann namens Rapić.
    »Wer ist das?« fragte ich, weil ich eine Gestalt am Rande des Platzes erblickt hatte, sie war einsam, wie ein kümmerlicher Baum, feindlich musterte sie die Menschen, die sich um mich geschart hatten. Wenn jemand auf sie zuging, stahl sie sich sogleich davon. Der Mann war nicht mehr jung, das heißt, er war es natürlich doch. Er war unbestimmten Alters. Sein schwarzer Filzmantel reichte fast bis zur

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