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Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Titel: Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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Wort dafür hat.
    Wer den Mut aufbringt und seine Stimme erhebt, soll auch die Konsequenzen tragen.
    Wer seine Stimme erhebt, geht in die Irre.
    Wer seine Stimme erhebt, steht auf und wandelt.
    Du stehst auf und wandelst und gehst in die Irre.
    So ist das, Herr.
    Nach einem sanften Anstieg tauchten die ersten Häuser der Grabsiedlung auf, aufgequollene Brösel unter einem dreckigen, von Spätzle übersäten Himmel. Die Lieblingsgegend von Popačka, und egal, ob du im Norden oder Süden bist, solch jämmerliche Siedlungen findest du überall.
    Schließen wir einen Bund, sagte ich im Geiste.
    Du darfst auch stärker und größer sein.
    Er blieb stehen, den Koffer in der Hand. Auf einmal fiel ihm das Gesicht des Handelsvertreters ein. Seine Farbe hatte zwischen totenbleich und knallrot gewechselt, sein Ohrläppchen hatte gezuckt, als müßte er jeden Moment niesen. Doch er schwitzte nur penetrant, dicke Tropfen kullerten ihm übers Gesicht. Das Verhörzimmer war vom Tageslicht durchflutet. Baum hatte die Fenster geöffnet. Ich liebte es, wenn während der Unterredungen der Lärm der Welt hereindrang. Wie nicht anders zu erwarten, bestand der Vertreter darauf, daß in der Siedlung ein Mensch gekreuzigt worden sei. Da dauerte das Verhör schon Stunden, und offenbar hatte die Jammergestalt den Moment, als sie vor der Tür des Büros stehengeblieben war und geklopft hatte, bereits tausendmal verflucht.
    »Es ist also nur eine Vermutung«, bemerkte Baum nach einigem Schweigen und wandte sich an den Handelsvertreter, als wäre er der Angeklagte. War er natürlich auch. Weil ja jeder Zeuge zuletzt selbst beschuldigt wird. Doch auch wenn du nicht als Zeuge aussagst, wird dir die Strafe aufgebrummt.
    »Ich muß mal«, bemerkte er leise.
    »Sie haben die Leiche also gesehen«, nickte ich.
    »Einmal im Monat kommen wir zur Grabsiedlung. Wir bringen ihnen Seife, Streichhölzer, Alaun, Batterien, Magazine.«
    »Pornographie«, nickte ich.
    »Auch das.«
    Er sah mich unruhig an. Auf seiner Stirn pulsierte eine rote Narbe.
    »Haben Sie den Gekreuzigten nun gesehen oder nicht?«
    »Das habe ich Ihnen bereits gesagt«, antwortete er und räusperte sich nervös. Baum stand auf und kehrte ihm den Rücken zu. Er massierte sich den Nacken, während er starr zum Fenster hinaussah. Unten das kahle Gärtchen mit ein paar Rosensträuchern, die parkenden Dienstwagen und die düstere Brandmauer gegenüber. Wie der Rücken Gottes, dachte ich.
    »Sie haben ihn nicht gesehen, aber Sie haben ihn sich vorgestellt«, sagte er leise, fast wie zu sich selbst.
    »Ich bin nur ein Händler«, flüsterte der Vertreter.
    »Das heißt, Sie denken sich nichts aus?«
    »Ich rechne. Ich kaufe und verkaufe, mein Herr.«
    »Warum sind Sie dann hier?« fragte ich.
    »Es hat einen Toten gegeben. Ich bin wegen eines Toten hier.«
    Plötzlich tat er mir leid. Zugleich wurde ich unruhig. Ich hatte das Gefühl, daß er etwas verschwieg. Er hatte vieles gesagt, aber vielleicht doch nicht genug.
    »Sagen Sie, sind Sie gläubig?«
    »Sehnen Sie sich nach einem Bund?« fragte er und lächelte einen Moment lang. Nein. Es war eher ein Grinsen, jenes Zusammenspiel der verschiedenen Partien des menschlichen Gesichts, des Blicks, der Muskeln, der Kinnlade, der Stoppeln, des Lichts und natürlich der Zähne, aus dem die Zufriedenheit nur so strahlte. Es war nur ein Augenblick. Eine Flocke über der Asche. Sein Gesicht verdüsterte sich wieder.
    »Haben Sie keine Angst«, sagte ich und faßte ihn am Arm. »Sie können gehen.«
    Dann rief ich ihm noch nach.
    »Schließen wir einen Bund!«
    Müde setzte ich mich und starrte vor mich hin. Ich dachte, daß ich nun endlich zur Grabsiedlung fahren konnte. Als hätte man mich vergiftet, so kam ich mir vor. Vielleicht brach ich auch in Gelächter aus. Da hörte ich, daß hinter mir jemand atmete. Er stand in der Tür, ich erkannte ihn erst nach geraumer Zeit. Dabei war es nur der Handelsvertreter; ob er noch gar nicht gegangen oder schon wieder zurückgekommen war, ich weiß es nicht. Er stand auf der Schwelle, starrte meine Karte an, die Züge Jesus Partisans, und lächelte, daß seine Zahnreihen schimmerten.
    »Gut, schließen wir einen Bund«, sagte er.
    4.
    Langsam wischte er sich mit der Hand über die Stirn. Die Blätter an den Bäumen glänzten schleimig, die Grashalme ragten weiß in diesen Vorfrühlingstag. Er war stark ins Schwitzen gekommen. Vielleicht weil er angezogen war, als hätte er mit Regen und Kälte gerechnet. Er besah

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