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Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Titel: Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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blutüberströmte Soldaten im Sterben, in einiger Entfernung standen weinende Frauen, ein Panzer war umgestürzt und qualmte. Auch ein Weiler brannte in der Ferne, und im Himmel schien ein unachtsamer Engel Feuer gefangen zu haben. Man konnte nicht erkennen, ob die Sterbenden Leidensgefährten Jesu oder seine Feinde waren, die er selbst zur Strecke gebracht hatte. Man konnte nicht erkennen, ob die Frauen die Sterbenden oder Jesus beweinen.
    In den Dörfern, in denen Popačka auftauchte, spielte sich nach einigen Tagen fast immer die gleiche Geschichte ab. Ein Steinkreuz am Straßenrand verschwand, ein Tafelbild in der Kirche, eine wundertätige Ikone, um die sich die Einheimischen meist mit schwärmerischer Inbrunst scharten, und im Dorf wurde jemand gekreuzigt, manchmal an der Stelle des verschwundenen Steinkreuzes, in anderen Fällen am Hauptplatz oder, wenn es keinen gab, in der Mitte der Siedlung, aber immer an einem gut sichtbaren, öffentlichen Ort. Der Gekreuzigte war Popačka, jener Mann, der aus Jakulevo aufgebrochen war, dort war er zu Beginn des Blutvergießens Militärgeistlicher gewesen, und die er segnete, junge, namenlose Burschen und wortkarge Söldner, zogen alle in den Tod, bis sich Popačka dann von der Armee verabschiedete, ohne Begründung und ohne Erklärungen, er gab sein bisheriges Leben auf, wie ein heiliger Franz das eigene skandalöse Elend, er packte einfach zusammen und ging, er wurde zum segenspendenden Deserteur, und dann wanderte er nur noch durch das schrumpfende Land, weil ihm ja, ohne Zweifel, Erleuchtung widerfahren war. Offenbar war irgendein Trick dabei, denn wer konnte mit nüchternem Verstand glauben, daß Popačka jedesmal wieder auferstand. Einmal hätte es ihm vielleicht gelingen können, einmal kann jeder auferstehen, wie es auch dem Sohn Gottes gelungen ist. Aber nicht hundertmal, oder noch öfter. Doch Popačka ist gewiß hundertmal sogar öfter als hundertmal auferstanden und hat ein leeres Kreuz mit Blutspuren zurückgelassen und die Hoffnung, daß denjenigen, die ihn gesehen und erlebt haben, die Erde von nun an ein Zuhause sein und es bleiben werde, solange die Welt steht.
    7.
    Ich blieb vor Bekičev stehen, so daß er nicht weitergehen konnte. Er hatte einen großen Kopf mit struppigen Haaren und dichte Brauen. Er war wie ein verkümmerter Baum, der nicht mehr weiterwachsen will. Ich gab ihm eine Zigarette. Verlegen betrachtete er sie, vielleicht, weil er nicht gewohnt war, eine zu bekommen. Er versteckte sie in seinen Lumpen, als hätte er sie gestohlen. Ich berührte ihn an der Schulter.
    »Sie sagen, sie werden dich umbringen«, begann ich.
    »Na und?« zuckte er die Schultern.
    »Vielleicht wird es weh tun.«
    »Trotzdem werden auch sie krepieren.«
    »Niemand wird dasein, der Sie segnet«, zuckte Baum die Achseln.
    »Darauf scheiße ich«, knurrte er. »Ich scheiße auf die Neuen. Ich scheiße auf jeden, der lebt und sich rührt. Die sind wie die Schakale.«
    »Wo ist euer Pope?«
    »Tot«, knurrte Bekičev. Er starrte Baum an, wie man ein Tier anstarrt. Nicht grob, nur war in seinem Blick etwas Drohendes, wovon er vielleicht selbst nichts wußte.
    »Wann ist er gestorben?«
    »Als der Krieg ausbrach.«
    »Ihr habt einen Popen gehabt, aber keine Kirche. Wo betet ihr?«
    »In der Schule.«
    »An den Bänken, wo die Kinder schreiben lernen?«
    »Manchmal auch im Freien.« Er wies in Richtung der Acker.
    »Warum ist der Pope gestorben?«
    »Er war alt.«
    »Wo ist sein Grab?«
    »Sie haben der Leiche eine Nummer gegeben und sie weggebracht. Das Amt hat sie abgeholt. So ein Militärlastwagen mit Plane, wie sie auch Flüchtlinge gerne benutzen. Sie haben sie in die Hauptstadt gebracht, glaube ich. Wenn ein Pope stirbt, wird er weggebracht. Und ob ein neuer geschickt wird, bleibt offen.«
    »Sie haben keinen anderen Popen geschickt?«
    »Wir haben ihn fortgejagt.«
    »Wolltet ihr ihn nicht?«
    »Wir kannten ihn nicht.«
    »Einen Popen muß man nicht kennen.«
    »Er kannte uns auch nicht.«
    »Ihr habt ihm keine Zeit gelassen, euch kennenzulernen.«
    »Schon recht. Aber dann kam dieser … dieser Popačka.«
    »Du hast ihn nicht gemocht, stimmt’s?!«
    »Ich habe den alten Popen gemocht.«
    »Hat dir Popačka etwas getan?«
    »Er hat allen etwas getan, aber nicht handgreiflich. Das wissen Sie sicher, Baum. Wie das ist. Mir hat er immer etwas getan, ohne daß ich überhaupt wußte, wo er war. Seit meiner Kindheit quält er mich. Wie Gott. Sieht mich nicht einmal, aber

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