Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten
Malers Miloš Vetrov.
2.
Süden, das ist die Hoffnung. Wenn du nach Süden unterwegs bist, erreichst du am Ende das Meer und kannst darin ertrinken. Im Süden sind die Berghänge wärmer, die Worte lauter, aber sie verflüchtigen sich auch leichter, und wenn es dämmert, ist von den Legenden nur noch eine armselige Episode übrig. Ich war glücklich, weil ich nicht anders konnte. Die Grabsiedlung wartete, Popačka wartete. Baum brach auf, und er lächelte nicht. Ich dachte, daß nichts hilft, in keiner Lage, es aber Hilfe dennoch gibt. Jemand warf auch die Frage auf, wie aus nichts etwas wird. Eva Rajnak hieß das Mädchen, und was für ein Geschöpf sie tatsächlich war, weiß ich nicht. Ich war bis jetzt natürlich nichts und niemand, einfach nur Baum. Ich weiß nicht einmal, seit wann. Baum, der Beobachtungen macht. Die Erinnerung an den Winter öffnet der Reihe nach ihre Schubladen und wirft uns Kittel über, von denen wir gar nichts gewußt haben. Ich reiste also. Es war eine Landschaft, wo die Hoffnung kuscht und sich zwischen Strünke, rieselnde Grassamen und verschimmelte Schierlingsstengel ducken muß, während sich die Hoffnungslosigkeit laut und selbstgefällig aufbäumt. Süden, das ist die Hoffnung. Ausgemergelte Gestalten schleppten sich am Straßenrand dahin. Sie schaufelten Mist, verbrannten durchnäßtes Unkraut, beschnitten Bäume oder saßen einfach nur da und starrten rauchend in das graue Land, in dem sie geboren waren. Kinder liefen mit übernächtigten, zerknitterten Gesichtern die sandigen Steigungen hinauf und hinab. Der Himmel war von schimmeligem Nebel verdeckt, und sobald das Licht durch die schmutzigblauen Schwaden drang, schien es schon mit einer korrumpierten Naivität zu verkünden, daß alles, was du von einem Tag in den anderen hinüberretten darfst, nur Verschwendung der Hoffnungslosigkeit sein kann. Mein Name ist Baum, und oft spreche ich von mir wie von meinem Feind. Das Mädchen heißt Eva Rajnak. Ich beobachte meine Bewegungen und Gedanken, wie ich es bei meinem Feind tun würde, weil ich nicht mehr fähig bin, gut oder böse zu sein, Als Kind habe ich einmal in einem Schulbuch einen Aufgehängten gesehen, die Henker standen neben ihm, es war Krieg, sie waren Soldaten. Sie rauchten, lächelten blinzelnd. Einer von ihnen löffelte eine Konserve. Die beklemmende Angst, die mich damals ergriff, begleitet mich bis heute, die Ungehörigkeit des Todes, sozusagen, aber dann beruhigt mich der Gedanke, daß ähnlich auch unsere einsame Agonie auf einer sonnigen Waldeslichtung von der Welt, von den Käfern, den silbrig zitternden Birkenblättern, den Kamillenblüten, vom Wind, von einem streunenden Tier, von wem auch immer, belauscht werden könnte. Ich glaube, auch deshalb bin ich Dokumentar geworden. Damals glaubte ich, daß auch die Geschichte nur aus Bildern besteht, aus Büchern und Ansichtskarten, einer Jahreszahl und noch einer, die Zeit, wie sie eine Form sucht und alles, alles ausprobiert, und alles ohne Erfolg. Auch ein Buch ist nur ein Schaukasten. Tote, schwerfällige Formen. Was jedoch mit meiner Hand und meinem Gesicht geschieht, entspringt dem Schicksal. Ich habe mich noch nicht an die Nähe des Todes gewöhnt. Schmerzen ertrage ich bis zu einem gewissen Grad. Das Leiden habe ich mir als eine Art Gnade vorgestellt, obwohl ich noch nie richtig gelitten habe. Manchmal schrecke ich aus dem Schlaf, weil neben mir jemand niederkommt. Du wirst geboren, sage ich dann zu dem tiefen Dunkel, das in meinem Körper herrscht, du wirst geboren und kannst noch nicht mal laufen, aber die Erde wartet schon auf dich.
3.
Zur Grabsiedlung gab es keinen Zug, auch kein anderes öffentliches Verkehrsmittel, weder Bus noch Mietlastwagen, deshalb legte er die letzten Kilometer zu Fuß zurück. In der Siedlung, das wußte er natürlich, weil er es vor seiner Abreise überprüft hatte, wohnten nur ein paar Familien, wenig mehr als fünfzig Menschen. Nachkommen von Einheimischen, Inselbewohnern, Veteranen, Engeln und Tieren. Wesen, deren Gesichter Gräben waren. Später kam Baum der Gedanke, daß er noch nie einer solch seltsamen, trotz ihrer Tierhaftigkeit unschuldig wirkenden Verschlossenheit begegnet war wie hier in der Grabsiedlung. Mir kam der Gedanke, daß im Gegensatz zur verbreiteten Meinung nicht die Unwissenheit die Voraussetzung der Unschuld ist, ganz im Gegenteil. Die Unschuld ist mit beachtlichem und giftigem Wissen gewappnet, denn sie kennt die Sünde, auch wenn sie vielleicht kein
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