Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Titel: Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
Vom Netzwerk:
quält mich. Er sieht uns nicht, oder es ist höchstens sein Quälen, das uns sieht, Baum. Ach, Baum!« schrie er leidenschaftlich. »Die Liebe Gottes ist blind, denn sie ist allgemein. Aber sein Quälen sieht, denn es ist immer konkret. Als mir Popačka seine Idiotenfresse entgegenstreckte, als er mich angrinste und ich seinen Atem und seinen Geruch spürte, wußte ich, daß er es war, der mich das ganze Leben lang mit Unglück, Krankheit und Angst geschlagen hat.«
    »Und Sie haben es ihm heimgezahlt.«
    »Ich war ihm dankbar, daß ich ihn hassen konnte«, sagte er leise, schüttelte den Kopf, dann ging er schwerfällig, das Bein nachziehend davon, er ließ mich stehen, dort, wo die Straße nach Budapest begann. Ich starrte ihm hinterher, wie er auf die Felder zustolperte, wie er in Richtung der ungeheuren Misthaufen davonwankte, die man am Ende der Siedlung aufgetürmt hatte.
    8.
    Ein Mensch, auf den nie jemand wartet, lebt vergeblich. An einem verregneten Morgen habe Popačka plötzlich mitten auf dem Platz gesessen, erzählten die Einheimischen, genau dort, wo sie zuletzt das Kreuz aufgestellt hatten. Er saß im Dreck und grölte den Ochsen zu, die Benda, der Hirte, gerade auf die Weide trieb. Der Speichel lief ihm, er lachte dröhnend. Es sah aus, als hätte flüssiges Silber seine Schulter gefärbt. Sie hätten ihn aufgenommen, erzählten die Siedlungsbewohner, aber nicht aus Mitleid oder Sympathie. Popačka habe Abwechslung, eine angenehme Unruhe in ihr Leben gebracht. Natürlich wußten sie nicht, worauf sie sich einließen.
    Sie hatten keine Ahnung, was auf dem Spiel stand. Popačka wirkte wie ein Verrückter, ein ausgemachter Idiot. Wie es sich auch von selbst versteht, daß er keineswegs auf den Kopf gefallen war. Hattest du ihn betrogen, sagte Frau Hopp mit verdrossenem, grauem Gesicht, hattest du das Gefühl, du hast dich selbst betrogen. Wenn du ihn belogen hast, war es, als hättest du dich selbst belogen. Wer ihn schlug, schien sich selbst zu schlagen. Der betrunkene Rapić versetzte ihm Tritte und schlug ihn mit der Faust ins Gesicht, und als Popačka zu Boden stürzte, spuckte er ihn auch noch an. Doch Augenblicke später kniete er nüchtern und zitternd vor dem Blutenden nieder und flehte um Vergebung.
    »Und Popačka hat ihm verziehen?« fragte Baum.
    »Wer hat gesagt, daß er verrückt war?« erwiderte Rajnak blinzelnd.
    »Er war verrückt«, mischte sich Eva Rajnak ein.
    »Nein«, Rajnak spuckte aus. »Aber das ist auch nicht das Wesentliche.«
    »Was ist denn das Wesentliche?« fragte ich.
    »Daß wir hier leben, Baum. Und wir werden hier leben, solange die Welt steht. Das Wesentliche ist, daß wir niemals von hier weggehen. Wir warten nicht, sondern wir sind hier. Verstehen Sie, Baum?«
    »Ich verstehe«, sagte ich, während ich daran dachte, daß Kriegsflüchtlinge, als sie ihre Stadt verließen, ihre Toten ausgegraben und die Särge auf den Wagen festgebunden hatten und nach Osten gezogen waren. Auf einmal kam es mir so vor, als würde ich Popačkas Geheimnis kennen. Wenn es überhaupt ein Geheimnis gab, versteht sich. Es ist leichter, sich einen einzelnen Menschen zu merken, als eine vielköpfige Familie, eine Gesellschaft oder eine Menschenmasse beschreiben zu müssen. Popačka war ein einzelner, einer von uns, und dennoch handelte er so, als stünden die Massen hinter ihm. Er hatte so viele Gesichter, wie es in der Steppe Spuren von Wanderern gibt. Jesus sonderte sich ab, er war Außenseiter. Popačka hingegen blieb innerhalb. Popačka konnte deinen Blick benutzen, auf einmal wurde er wie du, seine Bewegungen wurden wie deine, seine Stimme klang wie deine Stimme. Er machte sich das künstlerische Geheimnis des Jesus Partisan zunutze, er machte sozusagen praktischen Gebrauch davon.
    »War die Grabsiedlung auf die Auferstehung angewiesen?« fragte ich.
    »Die Menschen waren aufeinander angewiesen.«
    »Das ist es, was Popačka verkündet hat«, nickte Baum.
    »Er hat nie etwas Derartiges gesagt«, knurrte Rajnak.
    »Er hat es eben nur gespürt«, lächelte ich.
    »Wollen Sie sich in unser Leben einmischen, Baum?« fragte Rajnak.
    »Ich weiß nicht«, sagte ich. »Sie sind ausgeplündert worden.«
    »Sie glauben die Leere zu sehen?« lachte Rajnak.
    »In welche Richtung ist der Handelsvertreter gegangen?« fragte ich unvermittelt.
    Rajnaks Gesicht verdüsterte sich.
    »Sie halten sich für ganz besonders schlau, stimmt’s?«
    »Ist er nicht Richtung Budapester Straße gegangen?« warf Eva

Weitere Kostenlose Bücher