Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten
lehmigen Erde.
»Wer ist dieser Mann?« fragte Baum.
»Bekičev«, sagte Rajnak verächtlich, »und wenn er so weitermacht, bringen wir ihn um.«
»Auch Popačka ist umgebracht worden, nicht?«
»Das war kein Mord«, sagte Frau Hopp leise.
Wieder spuckte sie Baum ins Gesicht.
Ihr Speichel war warm und süß.
6.
Das erste Mal hatte ich 1990 von Popačka gehört, da wurde bereits getötet. Er tauchte in einem fernen Dörfchen im Süden oder eher Südwesten auf, und es schien sich um einen Einzelfall zu handeln. Wir hätten die Sache wohl vergessen, wenn sie sich nicht zwei Wochen später ein paar Kilometer weiter in einem anderen Dorf wiederholt hätte, einer ähnlich armen, mit Entbehrungen reich gesegneten Siedlung. Man spricht von Elend, obschon auch das keine genaue Formulierung ist. Popačka wußte, daß das Elend gewisse Möglichkeiten des Glücks nicht ausschließt, die Sehnsucht aber geradezu aufpeitscht. Gott nimmt zuerst, er schafft eine Leere, denn anders könnte er auch nicht geben. Gott plündert aus, um in dir Platz für sich zu schaffen. Im ersten Jahr trat Popačka an sechs Orten auf, seine Aktivität folgte fast stets demselben Drehbuch. Damals begannen wir, uns genauer damit zu befassen. Gesetzwidriges tat er nicht. Genaugenommen war nicht er es, der gegen den Geist des Gesetzes verstieß, und ganze Dörfer zu verurteilen, schien ein Ding der Unmöglichkeit. Wiewohl unsere Organisation gar nicht vorhatte, auf staatsrechtlicher Grundlage vorzugehen, dazu hatten wir weder eine Vollmacht noch die juristischen Mittel. Jedenfalls rückten wir Popačka ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit. Daß aber die Grabsiedlung sein letzter Ort sein würde, wußte von meinen Kollegen nur ich. Ich markierte die Siedlung auf der Landkarte. Im dritten Jahr entdeckte ich, daß man sich die Orte, an denen Popačka auftauchte, mehr oder weniger erschließen konnte. Als ich die Siedlungen, die Popačka besucht hatte, nach einem speziellen, nicht übermäßig komplizierten System miteinander verband, erschien schließlich ein menschliches Gesicht auf der Karte. Im fünften Jahr wußte ich bereits, wer es war, wessen Gesicht die Karte Popačkas zeigte. 1962 hatte Miloš Vetrov sein Bild »Jesus Partisan oder Schließen wir einen Bund« gemalt, es war das vielleicht bekannteste Kunstwerk unserer neuzeitlichen Geschichte. Der »Jesus Partisan« machte innerhalb weniger Jahre eine erstaunliche Karriere. Er wurde in New York, Helsinki, Brüssel, Moskau, Havanna und Paris und noch an vielen anderen Orten ausgestellt, bis er 1968 spurlos aus einer Belgrader Ausstellung verschwand, in jenen Tagen, als die Tschechoslowakei von fremden Truppen überschwemmt wurde. Mutmaßungen gab es natürlich reichlich. Die einen behaupteten, die Russen hätten das Bild als Geschenk für den Patriarchen von Moskau mitgenommen. Die anderen meinten, die Amerikaner, Türken oder Ungarn hätten es gestohlen. Vielleicht sei es den Mönchen vom Berg Athos in die Hände gefallen. Im Grunde auch egal. Das Gemälde war verschwunden, man mußte sich daran erinnern, und da die Erinnerung die intensivste Form der Auslegung ist, zog das zahllose Komplikationen nach sich. Der »Jesus Partisan« war auf einmal ein skandalöses, schändliches Bild, eine niederträchtige Provokation und Blasphemie, für andere wieder erzeugte gerade die Darstellung des Heldenhaften, des Geheimnisvollen eine ästhetische Spannung, wie sie nur die spektakulärsten künstlerischen Lösungen erzeugen, die Mona Lisa, Rousseaus Jadwiga, Vermeers Gitarrenspielerin.
Du sitzt vor dem Jesus Partisan und spürst nach einigen Augenblicken, daß es nicht wichtig ist, wie du heißt, daß deine Mutter und auch dein Vater nicht wichtig sind, dein Stückchen Erde, dein Besitz, wird eins mit dir, als wärest auch du nichts anderes, als ein mit Seele gefüllter Brocken Erde auf dem Acker des Landes, ein strahlendes Wort in den Blutgewittern der Geschichte deines Volkes. Die meisten Berichte und Deutungen untersuchten, freilich ergebnislos, die Eigenheit des Bildes, wie sich der Betrachter mit Jesus identisch fühlen konnte, wie und auf welche Weise das Bild den Eindruck erweckte, daß wir, wenn wir Jesus Partisan ansehen, uns selbst ansehen. Es gab Leute, die nahmen eine kleine Kopie des Bildes mit zur Hochzeit, ins Krankenhaus oder in das Geburtszimmer.
Jesus Partisan hatte eine Soldatenmütze auf, er mochte den Rang eines Feldwebels bekleiden. Rechts und links neben ihm lagen zwei
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