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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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füreinander wieder Mann und Frau sein konnten.

    Hallo, hallo, hier sendet Stimme freies Magma . Das ist die dritte Nacht. Oder schon die vierte? Ich habe jedes Zeitgefühl verloren. Vorhin bin ich aus meiner Nische gekrochen. Für ein paar Minuten war es hier ganz still, und ich bin das erste Mal, seit es angefangen hat, rausgekrochen. Ich konnte mich kaum bewegen. Ich dachte, der Einsatz ist vielleicht vorbei, und sie sind schon wieder zurück über den Kanal, aber so ist es wohl nicht. Der Einsatz dauert zumindest in meiner Gegend an, denn als ich kurz draußen war, habe ich gesehen, sie überqueren weiter den Kanal, in unglaublichen Massen, und von unseren Truppen nichts in Sicht.
    Wieder sprach er völlig klar.
    Ich bin ein paar Schritte rumgelaufen und habe außer dem Funker noch drei Leichen von den unseren gesehen, in Bunker zwei, völlig verbrannt, zuerst hab ich gedacht, das sind Holzstämme, ich schwör’s, später hab ich’s kapiert, denn wo sollen hier Bäume herkommen? Das sind die Reservisten von der Jerusalemer Brigade. Als ich hier am Abend vor Jom Kippur ankam, bin ich mit dem Notizbuch runter an den Kanal gegangen. Es war völlig still, und ich dachte, alles, womit sie uns in Babel Angst gemacht haben, ist bullshit . Ich hatte ein Fass gesehen, an das ich mich anlehnen konnte, hab mich mit dem Rücken zum Wasser hingesetzt und ein bisschen geschrieben, einfach so, um mich hier schneller einzugewöhnen, und diese drei waren auf dem Beobachtungsturm über mir und haben eine Riesensache darum gemacht, dass ich da schreibe, und als ich wieder reinkam, haben sie mir das Notizbuch aus der Hand gerissen und es allen vorgelesen, ich habe gekämpft, und wir hätten uns fast geschlagen. Nicht angenehm. So wie sie daliegen, sieht es aus, als hätten sie sie rausgeholt, um sie zusammen umzubringen. Vielleicht haben sie sie erst aneinander gefesselt und dann erschossen. Was wollte ich noch …
    Hier liegt alles in Trümmern. Eisenstangen, Felsen, Metallnetze, geschmolzene, verbogene Uzis – ein einziger Horror. Ich glaube, auf dem Posten weht die ägyptische Fahne. Ich hab drei Dosen Hackfleisch gefunden, eine mit Hummus und eine mit Mais. Und vor allem zwei Flaschen Wasser. Aber das Fleisch krieg ich nicht runter. Mit Fleisch bin ich fertig, für den Rest des Lebens.
    Ich hab auch Erde gesammelt, in zwei Stahlhelmen, um meine Scheiße zu bedecken. Jetzt, wo ich was zu essen hab, schießen meine Därme bestimmt mit Vollgas los, ha ha ha.
    Ich bin also zurück in meinen Käfig, hab mich da wieder reingeschlängelt und mich wieder in die Stellung des Derwischs begeben, der sich selber den Schwanz leckt. Wenn mir nur einer auf diesem beschissenen Gerät antworten würde. Verflucht! Hört mich denn keiner? Hallo …
    Dass es bloß bitte nicht weh tut. Wenn ich doch vorher das Bewusstsein verlieren könnte. Vorhin, als ich die drei Kameraden da liegen sah, hab ich versucht, mich zu erwürgen, mit den Händen, aber ich musste husten und hatte Angst, dass sie mich hören und kommen.
    Dass sie mich nicht vorher noch foltern. Einer wie ich ist ein gefundenes Fressen für die. Ich seh die ganze Zeit Bilder. Ein beschissener Film.
    Ein Glück, dass sie nicht viel Zeit auf mich verschwenden können.
    Aber wie lang? Eine Minute? Drei Minuten? Wie lang kann das dauern?
    Dass sie bloß schnell machen. Kugel in den Kopf und Schluss.
    Nein. Nicht in den Kopf.
    Wohin dann?
    Es reicht. Sollen sie doch kommen. Jetzt kommt schon, ihr Wichser! Arrogante Ägypter, ihr könnt ja bloß im Profil laufen! Er schrie aus aller Kraft. Danach hörte Ilan zwei knallende Schläge – er nahm an, dass Avram sich selbst ohrfeigte.
    Ilan, sagte Avram plötzlich so nah und so weich, als unterhielten sie sich am Telefon, du wirst Ora zum Schluss bestimmt heiraten, Prost, du Würstchen, versprich mir nur, dass ihr euer Kind Avram nennen werdet, hörst du? Aber mit »h« in der Mitte, Av-ra-ham, Vater vieler Völker ! Und erzählt ihm von mir. Ich warne dich, Ilan, wenn ihr das nicht macht, wird mein Geist dich nachts auf deinem Lager heimsuchen, du Nachfahre des schwachen Samens.
    Hör mal, lachte er plötzlich auf, einmal, noch vor dem Militär, war ich bei Oras Eltern in Haifa, und ihre Mutter verlangte, dass ich die Schuhe am Eingang ausziehe, du kennst sie ja, und meine Socken stanken furchtbar, ich hatte sie vielleicht eine Woche nicht gewechselt, und sie setzte mich ins Wohnzimmer in den Fauteuil, um mich auf Herz und Nieren zu prüfen,

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